Rezension: Tage mit Bumerang

Zuerst hat die Lektorin Ulrike von Stenglin die Reihe „Ullstein Fünf“ gegründet, nach ihrem Wechsel später „Hanser Blau“ – und die Ähnlichkeit der beiden Reihen ist verblüffend. Vermutet wird, dass diese Reihen für Unterhaltungsliteratur des mittleren Segments stehen. AutorInnen bei Ullstein Fünf sind unter anderem: Kathrin Weßling, Caroline Rosales oder Svenja Gräfen. Hanser Blau punktet mit Rocko Schamoni, Delia Owens und Nina Sahm. Letztere debütierte 2014 bei Blumenbar mit „Das letzte Polaroid“. Nun erscheint „Die Tage mit Bumerang“ – ein Roman mit Schaf und Charme.

Gleich zu Beginn deuten die Wörter Annu, Finne, Matti und Flummi an, wohin die sprachverliebte Reise geht. „Die Tage mit Bumerang“ erzählt von der flummihaften Halbfinnin Annu, die nach dem Tod ihres Vaters Matti versucht, die Poesie im Leben zu halten, während sie gleichzeitig von Gefühlen wie diesen berührt wird: „Es ist so, als ob es in meinem Kopf schneien würde und ich mich nicht mehr zurechtfände.“ Die junge Frau wohnt in einem Dorf, ist hartnäckig Single, und pflegt gemeinsam mit ihrem besten Freund Lars eine Leidenschaft fürs Blümerante: „Schon zu Schulzeiten hatte er die Lehrer mit seinem Eigensinn wahnsinnig gemacht. Fremdwörter mochte er nicht, er wandelte sie für sich um und benutzte seine Kreationen dann stolz bei jeder Gelegenheit. Das Aftershave war bei ihm ein Nachduft und ein Brunch ein Spätstück.“

Wenn sie einander besuchen, beginnt ihr Treffen mit diesem an Tomte und Von wegen Lisbeth erinnernden Satz: „Ich bin den ganzen Weg gerannt“ – selbstverständlich ohne Bitch, denn das hier ist ein braves Buch. Irgendwann ist Lars verheiratet und Vater eines kleinen Sohns. Annu ist die Hausfreundin der Familie. Ihr geht es gut, solange sie ein Dach überm Kopf hat und regelmäßig ein Eis essen kann. Ihre Zurückgezogenheit ist psychologisch einfach zu begründen, denn „wenn sie keine neuen Menschen in ihr Leben ließ, konnte sie auch von niemandem verletzt werden.“

Werbende Männer müssen Fragen wie diese beantworten: „Kannst du ein paar Tage in der Wildnis überleben? Gehst du gerne in die Sauna? Kannst du Schokoladenkuchen mit flüssigem Kern backen?“ Aus diesem naiv beschauten Märchenleben wird Annu herausgerissen, als sie im angetrunkenen Zustand Lars’ kleinen Sohn überfährt. Im Dorf macht sie dieser Unfall zur persona non grata. „Das war’s. Kein Gruß am Ende, keine Frage.“ Aus der Gesellschaft gestoßen, von Lars und seiner Frau weitestgehend ignoriert, entwickelt sich Annu umso wunderlicher und fängt an, mit ihren Haushaltsgegenständen zu sprechen. „Sie sprach mit dem Wasserkocher, mit dem Toaster, mit der Kaffeemaschine. Sie stellte sich vor den Spiegel im Bad und erzählte ihm von ihrem Tag.“

Dann gelangen neue Gefährten in ihre Einsamkeit, darunter ein Schaf, das plötzlich in Annus Vorgarten steht. Das Tier will nicht verschwinden. „Annu wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Wollte das Tier am Ende noch in ihrem Bett schlafen?“ Selbstverständlich taucht irgendwann auch ein Mann auf, der wiederum einen Hund mit in die Beziehung bringt – womit deren Liebesgeschichte gespiegelt wird von der Wolf-Schaf-Fabel, die sich im Freien entwickelt, und dass dieser andere Mann ein Rettungssanitäter ist wirkt ähnlich holzhammerartig wie seinerzeit der Feuerwehrmann in Mariana Lekys „Die Herrenausstatterin“ (der Ton beider Autorinnen ähnelt sich).

Nina Sahms Roman wirkt in seiner erschütternden Harmlosigkeit wie ein Song des schottischen Singer-Songwriters Lewis Capaldi. Man lässt sich einlullen von gestickt wirkenden Weisheiten wie dieser: “Guter Rat ist wie Schnee, je leiser er fällt, desto länger bleibt er liegen”. Wäre „Die Tage mit Bumerang“ ein Kinderbuch, so könnte man es getrost empfehlen für kleine Leserinnen und Leser ab 12 Jahren.

Nina Sahm: „Die Tage mit Bumerang“, Hanser Blau, 240 Seiten, 15 Euro

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