Rezension: Ich bin golden

Laura Karasek, Tochter des berühmten Literaturkritikers Hellmuth Karasek („Das literarische Quartett“) wagt sich mit einem ersten Roman nach vorn. „Verspielte Jahre“ erzählt von Wohlstandsverwahllosung, Sex und Party  bis zum erlösenden Kuss!

„Abendessen und Filmpremieren, Wochenenden auf dem Land, Bareröffnungen, Einweihungsfeste, Abrisspartys, Trinkspiele, Gesellschaftsspiele, Grillabende, DJ-Sessions, rumhängen, Gitarre spielen, chillen, Konsum, Spielwiesen.“ Das Erwachsenenleben von Theresa, Bachelor-Absolventin der Theaterwissenschaften hat sich auf gediegenem Cityniveau eingependelt. Sie weiß nicht viel mit sich anzufangen, und fängt stattdessen etwas mit verschiedenen Männern an, ist eine Suchende; und das zwischen Zwanzig und Dreissig. Laura Karasek erzählt in ihrem Debüt anschaulich, wie „Verspielte Jahre“ aussehen. Wer aus der so genannten „Literaturszene“ kommt, liest dieses Buch natürlich immer mit Blick auf Laura Karaseks Familienhintergrund. „Ihr Vater war ein herzhafter Aufsteiger, der sich in den Siebzigerjahren in einer Kanzlei zum Partner hochgearbeitet und als Jurist und Medienberater in der Gesellschaft einen Namen gemacht hatte. Man schätzte seine Grobheit, er war ein gescheiter und brutaler Verhandlungsstratege, der eigentlich gern Opernsänger geworden wäre, hätte es ihm nicht so maßlos an Geld und an Musikalität gefehlt.“ Man tausche Kanzlei mit Verlag, Opernsänger gegen Schriftsteller und man kann sich Hellmuth Karasek (78), Mitglied des Literarischen Quartetts vorstellen. Es sind Vergleiche, mit denen seine Tochter gekonnt spielt – als gelernte Juristin weiß sie, Pointen und Anspielungen bewusst zu setzen.

Gleichzeitig bangt Laura, dass nun alte Fehden, die Kritikerkollegen mit ihrem Vater haben, quasi stellvertretend auf ihrem Rücken ausgetragen werden. „Wenn ich jetzt von den Journalisten verrissen werde, dann weiß ich nicht, ob ich mich noch mal ins Feuer begebe. Je nachdem, wie groß der Schmerz ist…“, sagte sie vor Kurzem in einem Interview der BILD-Zeitung, ausserdem ist ihr klar, „dass ich kein Kafka bin.“ Seid also nett zum Buch, sonst schreibt Laura nur noch Plädoyers – keine Romane. Hauptberuflich arbeitet die 30-Jährige in einer Frankfurter Anwaltskanzlei. „Eigentlich wollte ich ja immer Autorin werden, und nicht Rechtsanwältin“, sagt die Debütantin im Teasingvideo des Lübbe-Verlags. „Ich habe schon als Kind immer Bücher geschrieben und Kurzgeschichten in der Klasse vorgelesen. Jura und Literatur sind gar nicht so weit voneinander entfernt. Jura ist auch sehr sprachorientiert, man muss immer darauf achten, dass man genau formuliert.“

Genau das gelingt Laura Karasek auch im Buch. Sie ist nicht nur genau, sondern gerade in den Sexszenen: überaus explizit. Was dann so klingt: „Er schleckte an ihr wie an Speiseeis, sie war sein Minimilk, vor allem an ihrem Kinn, und sie dachte, das gehörte sich so. Spaß machte es wenig. Irgendwann bastelte er an ihrer Unterhose herum. Immer wieder schob er den Flutschfinger hinein, dann zwei, irgendwann die ganze Faust. In von Abschiedsschmerz drängender Ausweglosigkeit gab sie nach und ließ sich entjungfern.“ Das ist schon weit hervorgewagt. Es hätte aber vor allem „Literaturpapst“ Marcel Reich-Ranicki gefallen, der selten genug bekommen konnte vom Geschlechtlichen zwischen zwei Buchdeckeln (Stefan Raab hat sein Zitat „ich ficke, du fickst, er fickt, alle ficken, wir müssen ficken, warum fickt er nicht mit ihr“ in seiner Sendung „TV Total“ auch für Nicht-Leser bekannt gemacht.)

Geht es also nur um „F…?“ in Laura Karaseks „Verspielte Jahre“? Nein! Es geht auch um (ewige) Treue angesichts ausufernder Auswahlmöglichkeiten. Es gibt den „Feuchtgebiete“-Faktor, wenn eine Magensonde ins Spiel kommt. Es geht aber auch, sehr ernst, ums Sterben – und dass man gegen den Tod anfeiern und die Angst weglieben muss. Truman Capote hatte, was das angeht, ja eine sehr coole Haltung. Für ihn war der Tod das beste Argument, um „Champagner zu trinken und im Ritz zu wohnen“. Theresa würde am liebsten drei Leben haben, „wie Super Mario“. Sie möchte sich als Magersüchtige ausprobieren, als Ehefrau, als Liebhaberin, als Karrieristin, als Mutter mit superbreitem Kinderwagen. Doch für viele dieser Entwürfe müsste sie endlich mal erwachsen werden. Das Faszinierende an der Wohlstandsverwahllosung, die allen Helden von Christian Krachts „Faserland“ bis Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“ attestiert wurde, im Jahr 2012 anachronistisch wirkt. In Spanien, Griechenland, Portugal, Italien demonstrieren Schüler, Studenten, arbeitslose Jugendliche gegen brutale Sparprogramme. Der Lebensstandard in Europa sinkt. Wenn Leute zwischen 15 und 35 im Augenblick verwahllosen hat das selten etwas mit Wohlstand zu tun. Deshalb ist „Verspielte Jahre“ auch ein Archiv, in dem jene goldene Zeit aufbewahrt wird, in der die drängendste Frage tatsächlich hiess: Benjamin oder Leopold, Stipendium in Hong Kong oder Chill Out im Hamburger Loungebereich?

Laura Karasek: „Verspielte Jahre“. Quadriga, 400 Seiten, 19,99 Euro

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