Rezension: „Omama“

Eine künstlich provozierte Debatte hat der Kabarettistin Lisa Lasselsberger in den vergangen Tagen Aufmerksamkeit geschenkt. Ihr bald erscheinender Debütroman „Omama“ zeigt: bereits hier gibt es eine Distanzierung von der salonrassistischen Figur Lisa Eckhardt. – Das nun Folgende ist das Typoskript meines Beitrags vom Deutschlandfunk-„Büchermarkt“, gesendet am 10.8.2020 um 16:10 Uhr. Über die Mediathekt (hier) kann das Audio nachgehört werden.

Die österreichische Poetry-Slam- und Kabarett-Künstlerin Lisa Lasselsberger hat ihr erstes Buch geschrieben, nicht unter ihrem bürgerlichen Namen, sondern unter dem ihrer Kunstfigur Lisa Eckhart, also jener blass-blasierten, aschgrau getönten 1920er-Jahre-Schickse, die von ganz weit oben auf ihre Mitmenschen blickt.

Diese Lisa Eckart ist eine unsympathische, rassistische, mit ihren hochnäsigen Sottisen diffamierende Person – und wenn sie nun ein Debüt vorlegt, das angeblich von ihrer Großmutter erzählt, dann muss sie, um in der Rolle zu bleiben, bereits auf der ersten Seite klarstellen: Empathielosigkeit als Programm wird „Omama“ von den angeblich transpirierenden Erinnerungen anderer Enkel unterscheiden:

„Selbst Thomas Bernhard, der Großmarketenderin des Schimpfes, welche sich naturgemäß jedes nette Wort verbittet, zerfließt beim Suhlen in Großvaters Spuren das Ressentiment zum Sentiment.“

Der Russe kommt

Selbstbezogen beginnt “Omama” nicht mit der Großmutter, sondern mit der Erzählerin selbst, die wiederum vorgibt, Lisa Eckhart zu sein. Am Anfang des Buchs steht eine mehrtägige Säuglingsobstipation unmittelbar nach ihrer Geburt – und wie das in zahlreichen anderen Büchern eher berührende Warten aufs Köpfchen in diesem Roman gespiegelt wird als Kampf um die erste Defäkation, ist zwar geschmacklos, aber durchaus originell. Hernach springt die Geschichte zurück, und russische Soldaten tauchen in der niederösterreichischen Gemeinde Mautern auf.

„Nun war er also da, der Russe. Und die Angst vor ihm gewaltig. Was hatte man ihnen nicht alles erzählt, wozu der Russe fähig sei und wonach der Sinn ihm stünde. Er werde alles Vieh abschlachten sowie alle Mädchen schänden. Und im Anschluss umgekehrt.“

Das Freudsche Bäuerchen

Die Geschwister Inge und Helga erleben die Besatzung als Teenager, und mit kräftigen Volten hebt der discours zum Parforceritt an – durchaus im Wortsinn gemeint. Mühevoll schleppt sich die Handlung über die folgenden Seiten, ad hoc unterbrochen durch einen Erinnerungsmoment von Großmutters Cousine Anna. Es sind bloß wenige Sätze.

„,Was hatten wir vor denen Angst! Das waren vielleicht Wilde, diese Russen. Wie viele Mädchen haben die vergewaltigt!’ Sie stiert mich an. Nach langer Pause fügt sie hinzu: ‚Unheimlich viele!‘ Es war offenbar keine rhetorische Frage. ‚Eine nach der anderen. Mich zum Glück nie!’ Sie nippt an ihrem Glaserl Rotwein und blickt betroffen auf den Tisch. (…) ‚Doch ich war früher auch sehr hübsch!’ entfährt es ihr plötzlich gleich einem Freudschen Bäuerchen.“

Vieles deutet darauf hin, dass hier die Vergewaltigungserfahrung durch eine andere Erzählung verdeckt wird, en passant und gerade deshalb auf erschütternde Weise, schnell neutralisiert von Omama, die von der Erzählerin gefragt wird: „,Waren die Russen nicht sehr grob zu den Mädchen?’ ‚Ach, i wo!’, winkt Großmutter ab. ‚Besonders lieb warn’s mit den Kindern. Denen haben’s oft an Schokolad gschenkt.’“

Eine misanthrope Grundstimmung

Der Schrecken scheint schnell vergessen, das Grauen verdrängt, bald ist 1953. Helga und Inge werden bei zwei verschiedenen Ehepaaren als Kindermädchen eingestellt: „Sie in Gmunden und die Inge in Wien. Sie lebt im Hause eines Doktors. Die Inge in der Wohnung eines Professors. Der einzig wahre Unterschied ist jener, dass der Herr Professor keine Kinder hat. Zumindest keine, die daheim sind. Genau genommen suchte also der Doktor eine Kinderfrau und der Professor eine Kindsfrau. Sie passt auf die Kinder auf und die Inge, dass sie keine kriegt. Sie hilft dem Doktor in den Mantel, die Inge dem Professor heraus.“

Der Plot kommt ins Plaudern. Provokationen werden wahllos über den Text verstreut, rassistische Ressentiments spärlich, sexistische Ausschweifungen häufiger, eine misanthrope Grundstimmung durchzieht Lisa Eckharts Debüt. Die Form der Witze variiert selten, es reicht also, einen zu zitieren: „Das Wiener Schnitzel muss so groß und so dünn wie möglich sein. Ein Schnitzel wie ein Jungfernhäutchen.“

Weißer, alter Mann

Am Ende wendet sich „Omama“ gegen seine eigene Hauptfigur. Die gealterte Helga steht da als Boomer-Problem, als Rassistin, als Umweltsau, die Fernreisen bucht. Der peinliche Kapitän eines Kreuzfahrtschiffs muss herhalten als Zerrbild des weinerlich-weißen Mannes, wenn er  jammernd vor seinen greisen Passagierinnen steht: „Von uns Männern wird erwartet, dass wir uns immerzu bekämpfen. Doch, Gott verzeih’s mir, dass wir uns lieben! Das heißen sie ein Verbrechen! Nur in der Schlacht dürfen wir uns begegnen. Nur im Krieg dürfen wir uns berühren!“

Bereits Jahre vor „Omama“ hat Lisa Lasselsberger hingewiesen auf die Differenz zwischen ihr und Lisa Eckhart. Diese Differenz wird auf den letzten Seiten von „Omama“ eklatant. Rassismus, Sexismus und Ausgrenzung werden deutlich abgewehrt. Die Erzählerin beklatscht die Ansichten ihrer Großmutter nicht. Sie schaut nicht aus Enkelsolidarität weg, sondern sagt stattdessen: „Altersmilde darf nicht heißen, dass man milde wird gegen die Alten. Denn wo setzt man das Alter an, das einem Amnestie gewährt? (…) Keinem Alter gebührt Amnestie. Die steht nur Narren zu.“

Kein Gefühl für Menschlichkeit

„Omama“ könnte aufgrund von Stellen wie dieser der Anfang vom Ende der ohnehin nur auf wenige Jahre angelegten Närrin Lisa Eckhart sein. Die Künstlerin hat bereits vor über zwei Jahren im YouTube-Kanal „Auf dem roten Stuhl“ gesagt: „Es wird insgesamt vier Programme geben (…) Ich weiß, dass ich dem irgendwann gern den Rücken kehren werde und das ein wenig exklusiver gestalten. In fünf, sechs Jahren werde ich – glaube ich – nicht mehr den Zug besteigen wollen jeden Tag und mich dann entflusen mit diesen Filzsitzen in der Bahn. Das erdet mich zu sehr. Dann kommt immer wieder dieses Gefühl von Menschlichkeit auf, das ich so nach und nach von mir abschaben möchte.“

Lisa Lasselsberger vor zwei Jahren im Interview – das Ende von Lisa Eckhart ankündigend. Inzwischen ist die Figur aus dem Ruder gelaufen, von einer rechten Querfront vereinnahmt. Allerdings wurde diese Vereinnahmung provoziert. „Omama“, dieses eher harmlose Debüt, könnte ein Notausgang sein – nicht für Lisa Eckhardt, die bleibt in ihrer rassistischen Rolle gefangen, aber durchaus ein Notausgang für ihre Erfinderin Lisa Lasselsberger.

Lisa Eckhart: „Omama“. Zsolnay, Wien, 384 Seiten, 24 Euro. Das Hörbuch, gelesen von der Autorin, erscheint bei Lübbe Audio, Köln, 13:35 Std.

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