Rezension: Hängematte rulez

Es gibt kaum ein größeres Wagnis, als 2013 einen Berlin-Mitte-Roman zu schreiben. Thomas Martini hat genau das mit seinem Debüt „Clown ohne Ort“ gemacht. Eine gute Idee?

Hartnäckig hält sich in der Literaturszene das Gerücht, dass es Romanmanuskripte, die von Berlin erzählen doppelt schwer haben, verlegt zu werden. Der Grund ist simpel: Es gibt einfach zu viele Hauptstadtschriftsteller, die an den immergleichen Orten abhängen. Deshalb werden Bücher die in der Provinz spielen eher beachtet. Schaut man sich die vergangenen zwölf Monate an, so fällt auf, dass viele hochgelobte Geschichten nichts mit Berlin zu tun haben, obwohl sehr sehr viele Bücher aus und über Berlin geschrieben wurden. – Matthias Nawrats „Wir zwei allein“ (Kelag-Preis 2012) ist in Freiburg angesiedelt. Anna Katharina Hahn (Wolfgang-Koeppen-Preis 2012) erzählt aus Stuttgart. Christian Kracht (Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2012) reist in die Südsee. Jonas Lüscher, der bald in 1LIVE Klubbing lesen wird, hat gerade mit seiner Tunesien-Novelle „Frühling der Barbaren“ die Schweizer Bestenliste gestürmt. Vea Kaisers „Blasmusikpop“ (Platz 1 der ORF-Bestenliste im September 2012) ist in einem fiktiven Bergdorf angesiedelt, Juli Zehs „Nullzeit“ (16 unterschiedliche Preise und Stipendien seit 1999) auf Lanzarote, Andreas Stichmanns „Das große Leuchten“ (Literaturpreis der Stadt Bremen 2012) im Iran und Wolfgang Herrndorf nimmt seine Leser mit in den „Sand“ (Preis der Leipziger Buchmesse 2012).

Thomas Martini ist deshalb mit seinem Debütroman „Der Clown ohne Ort“ ein Wagnis eingegangen. Sein Slacker-Held Naïn arbeitete als Regie- und Produktionsassistent in Berlin und wacht üblicherweise am späten Nachmittag auf. Es gibt bekifften Sex mit einer Exfreundin, die aus einem Oliver-Koletzki-Track entsprungen sein könnte. Das erste, ganz allein dastehende Wort auf Seite eins ist „Wir“, was wie ein Zitat rüberkommt. Der HFF-Abschlussfilm „Wir“ war vor neun Jahren das punktgenaue Portrait der noch unbekannten Berlin-Mitte-Community. Es gab den ungehemmten Sex und das nächtliche In-die-Sterne-Schauen am Fernsehturm. Es gab die euphorischen Pläne und das ewige „Anything goes“-Gefühl, gespielt von jungen Filmstudenten, die neugierig ins Leben hineinschauten, sich nicht um Schlagworte wie „Generation Praktikum“ scherten, die sich auf sehr sympathische Weise verschwendeten.

In genau diesem Lebensgefühl befindet sich Naïn, in der großen Verschwendung: „Da waren Amaia und Lisa gewesen, große Lieben, die sich im Ungefähren verloren, der erste, Barceloneser Bruch… keine Frauen mehr. Da war ein Studium in Bayreuth und Berlin. Da waren die Assistenz bei einem Bundestagsabgeordneten, die Festanstellung noch während des Studiums, das Angebot, im Europaparlament zu arbeiten, der Stolz seiner Familie, im matten Licht der Sicherheit schimmernde Zukunft – er hatte Glück gehabt, wie man sagte.“ All das ist Naïn bereit, wegzugeben „Der Zug schwebt sich durch die Landschaft, in den Feldern Morgendunst, in den Kopfhörern ‚Japan‘, Hippiediven, CocoRosie, ‚Basel ich komme!‘ im Hirn, das Denken auf verschobenen Spuren. Reste von MDMA, Gras und zwei Kippenpackungen in den Adern.“ In poetischen Sätzen fängt Thomas Martini das Lebensgefühl einer ortlosen Generation ein, die zu Songs wie „Hängematte rulez“ in Nachtcafés abhängt und weiss, dass diese Hängematte für sie nie vorgesehen war. „So nebenbei im Alleingang die Gesellschaft revolutionieren“, fragt Naïn irgendwann, und sein Kumpel antwortet, erwachsener als die Helden aus dem „Wir“-Film: „Ich will doch gar keine Revolution! Ich will einfach eine rapidere Evolution!“ Das Wagnis „Berlinroman“ zahlt sich für Autor und Leser hundertprozentig aus.

Thomas Martini: „Der Clown ohne Ort“, FVA, 252 Seiten, 19,90 Euro

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