Psylos sind kein gewöhnliches Gemüse – mindestens diese Erkenntnis bleibt nach Barbara Pevelings schönem Roman „Wir Glückspilze“, in dem sich eine gelangweilte Clique die Zeit zwischen Abi und Weiterleben mit Halluzinationen vertreibt.
Sie tranken Schampus mit Lachfisch und fühlten sich very fantastisch – oder so ähnlich. 1994: Die Mauer ist noch nicht allzu lange niedergerissen, die „Berliner Republik“ ist beschlossen, allerdings der Umzug noch nicht vollzogen. Kohl heißt der Kanzler und eine kleine Gruppe hängt antriebslos zwischen Abitur und Studium, nicht in irgendeiner aufregenden Großstadt, sondern im rheinischen Bonn. Eine perfekte Stadt für Zwischenzeiten: noch ist Bonn Regierungssitz, hat den Hauptstadtstatus aber mit der Wiedervereinigung 1990 verloren. Es gibt viele Möglichkeiten, die Bonner Provinzialität jener Jahre wegzuschieben. Glückspilze heißt die Rettung für Anne und ihre Freunde. Nun sind die kleinen, auf Schafswiesen wachsenden Halluzinogene keine ungefährlichen Smiley-Pillen. In „Wir Glückspilze“ hat ein Trip böse Folgen haben (man denkt unweigerlich an Carlos Castañeda, der 70er-Jahre-Drogenpapst). „Unter vielen Menschen war ich allein“, jammert Anne irgendwann.
Bewaffnet euch, bringt Freunde mit
Zwischen langweiligen Tanten-Kaffeetrinken bei Mutti daheim und Sorgentagen, weil die Zukunft ungewiss ist, machen Anne und ihre Freunde einen drauf. Sie fahren mit ihrem VW Polo zu Festivals und Esoterik-Zeltlagern ins benachbarte Städtedreieck, während Nirvans „Smells like teen spirit“ den Soundtrack zum Lebensgefühl spielt. Techno und Grunge sind die musikalischen Antipoden jener Jahre. Sie stehen einander diametral gegenüber, wie Anne ihrer Cousine Tina: „Tina war jünger als ich und sah aus wie ein Häschen. Sie hatte sich ein Piercing in die spitze Oberlippe, eins in die Augenbraue und einen Ring in die Stupsnase schießen lassen. Sie sah aus, als würde sie an unsichtbaren Ketten hängen.“ Anne selbst kennt das Gefühl, an eine Sache oder ein Gefühl gekettet zu sein. Bei ihr sind es Drogen. „Die Pilze begleiteten uns, sie waren Treibgut, das hin und wieder ans Ufer gespült wird.“
Eine sorgenlose Zeit war das, lange vor 9/11, vor der Vertreibung aus dem Wohlstandsparadies, das bereits in diesen Jahren bröckelte. Dieser schleichende Niedergang wird im Buch nebensächlich angesprochen. Eine Industriekleinstadt kommt vor, die mit wachsender Arbeitslosigkeit zu kämpfen hat. Ein blonder Lover fordert, während die blühenden Landschaften langsam verwelkten, „Respekt vor den Wundern, die uns die Natur anbietet, wenig ist noch übrig von dem Paradies, aber ihr achtet es nicht. – Ihr! schrie ich zurück. Was meinst du mit ihr? Du sprichst wie ein Indianer, aber du bist keiner.“
Paradise Lost
Barbara Pevelings Roman beschreibt eine Paradies-Vertreibung und keineswegs zufällig heißt die Gefallene in dieser Geschichte „Eva“. Sie ist ein quirliges Girlie, das sich von Beziehung zu Beziehung hangelt. Es gibt aber auch: eine Vertreibung aus dem Kindheits- und Teenager-Paradies, eine Vertreibung aus der geordneten Geschlechterwelt, eine Vertreibung aus der sicher-gemütlichen Helmut-Kohl-Zeit, die sich trotz Wiederwahl ihrem Ende neigt. Barbara Peveling hat ihr Paradies inzwischen gefunden. Sie ist fortgezogen, aus Bonn abgehauen, ins spannendere Ausland, nach Paris, wo sie mit ihrer Familie lebt.
Barbara Peveling: „Wir Glückspilze“, Nagel & Kimche, 128 Seiten, 12,90 Euro