Die Baldeney-Dynastie

Jungs, ihr könnt einpacken. Im glänzenden Roman „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ wir eine junge Frau an die Unternehmensspitze gesetzt. Sie tritt an, innovativ, nachhaltig, menschenfreundlich zu führen. Geschrieben wurde diese Insiderstory nicht von einem der talentiertesten Gegenwartsautorinnen: Nora Bossong.

An ihrem ersten offiziellen Termin als stellvertretende Geschäftsführerin der Frotteefirma „Tietchen und Söhne“ wird Luise für eine Praktikantin gehalten. Die 25-jährige vertritt ihren in New York verschollenen Vater beim „Treffen der nordrhein-westfälischen Textilindustrie“. Alle im Raum sind männlichen Geschlechts, sogar die Cateringfirma hat an diesem Tag keine Frauen in das Tagungshotel nahe Köln geschickt. Luise wird erstmal angebaggert.„Ich habe mein Studium noch nicht abgeschlossen. Ich bin nicht verheiratet, ich habe keine Familie. Ich habe noch nicht einmal gelebt.“ Ablehnend reagiert die Millionärstochter, als sie auf die Übernahme der elterlichen Firma vorbereitet werden soll. Seit drei Generationen stellt „Tietchen und Söhne“ aus Essen Frotteebadetücher her: Jahresumsatz 38 Millionen, Umsatzentwicklung minus 2,7 Prozent, Tendenz rückläufig.“

Bossong_23975_MR.inddIhre Vorfahren haben bereits die Armeen im 1. Weltkrieg ausgestattet. Vom Firmengründer Justus existiert ein Ölgemälde, das ihn würdig präsentiert, „halb Monarch, halb Beamter.“Das war 1914, zu Glanzzeiten des Betriebs, der mit den Jahren mehr und mehr abschmieren wird. Und spätestens wenn die ersten Gerichtsverfahren auftauchen, wenn Arbeiter in Asien sterben, das Geld knapp, die Entscheidungen immer krimineller werden, entwickelt sich „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ zu einem Aufsehen erregenden Industriekrimi. Auf der einen Seite geht es um Wohl und Wehe eines Global Player.

Auf der anderen Seite erzählt Nora Bossong ebenso umfassend die Geschichte Luises, die sich als junge Frau in einem männerdominierten Gewerbe durchsetzen muss. Es ist eine Geschichte, die immer häufiger zum Wirtschaftsleben gehört in einem Land, das selbstverständlich von einer Bundeskanzlerin regiert, von Ministerinnen beraten, von Universitätsprofessorinnen ausgebildet wird. Manchmal erinnert „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ an die „Buddenbrooks“ in Kurzform. Für diesen extrem dicke Roman über den langsamen Untergang einer Lübecker Unternehmerfamilie bekam Thomas Mann 1929 den Nobelpreis verliehen. Der fette Schinken hat sich weltweit über zehn Millionen Mal verkauft, gehört zu den erfolgreichsten deutschen Romanen aller Zeiten. Hier hat sich Nora Bossong eine Menge abgeschaut.

„Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ ist auf sehr feine Weise ironisch. So übernimmt Luise die Gepflogenheiten der Männerwelt. Sie merkt sich die Namen der Gatten ihrer Mitarbeiterinnen. Das erinnert an gönnerhafte Vorgesetzte von früher, die sich nach dem Befinden der „wehrten Frau Gemahlin“ erkundigt haben. Ebenso gibt es einen windigen Schwager (bei Thomas Mann hiess der noch „Grünlich“) und sehr viele Klatsch und Tratsch, der bereits die Buddenbrooks unterhaltsam gemacht hat. Es geht von der opulenten Villa am Baldeneysee hinab zu ärmlichen Sweatshops in Asien, wo Lohnsklaven unter entwürdigenden Bedingungen schuften. Allein im Sumpf steht nun eine Frau, die versucht, einen Tanker zu retten, den Insider bezeichnen als „ein Wrack, ein Geisterschiff“. Was Männer in den vergangenen Jahrzehnten zugrunde gerichtet haben – soll sie allein richten. Der Wind steht gegen Luise. Ihr Wille aber nicht.

Nora Bossong: „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“, Hanser, 302 Seiten, 19,90 Euro

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