Verriss: „Der Dieb in der Nacht“

Es gibt Romane, die ein Unbehagen auslösen, das nicht exakt benannt werden kann. Bei Katharina Hartwells neuem Buch „Der Dieb der Nacht“ ist eben dieses Unbehagen vom ersten Absatz an zu spüren – und kann sehr benannt werden. Warum ist dieser Roman eigentlich unlesbar?

„Mit Sicherheit sagen kann das niemand, denn das letzte Mal wurde Felix Heller, 19 Jahre alt, an einer Tankstelle gesehen. Er trug ein dunkelblaues Polohemd, eine Shorts und weiße Asics-Turnschuhe mit blauen und roten Streifen. Die Polizei nimmt sachdienliche Hinweise entgegen.“ Seitdem fehlt von dem Mann jede Spur. Angeblich ist er damals aus dem Haus gegangen, um Cornflakes zu kaufen. Zehn Jahre später taucht er wieder auf, in der Hauptstadt Tschechiens, wo „es kein Zufall sein könne, dass Prag beinahe ein Anagramm von Grab sei.“ Sein einstiger Kumpel Paul, ein Germanistikabsolvent kurz vor Beginn seiner Promotion, lernt in der Lucerna Bar einen Mann kennen, der aussieht wie Felix, der spricht wie Felix, der sich bewegt wie Felix, der sogar das gleiche Muttermal hat wie Felix. Doch dieser Mann nennt sich Ira Blixen, weil er einst Tania Blixens „Gespensterferde“ gelesen hat. „Er lebe bereits seit vielen Jahren in Prag. Und er sei Paul nie begegnet, ganz sicher nicht.“

Blixen gibt an, er sei einst aus der Moldau gezogen worden. Er kann sich an die ersten zwanzig Jahre seines Lebens nicht erinnern, er soll in einem Krankenhaus zu sich gekommen sein. Paul freundet sich dennoch mit diesem Ira Blixen an, bringt ihn später in Berlin sogar mit Felix’ alter Familie zusammen, die selbst nicht mit Gewissheit sagen kann, ob der verlorene Sohn oder nicht ein heimtückischer Schwindler – gar der Mörder von Felix – heimgekehrt ist.

Spannend könnte das alles sein. Es ist allerdings eine Geschichte, die aus ihrem mystischen Urgrund so viel macht wie Benjamin Lebert im vergangenen Jahr mit seinem ähnliche angelegten „Mitternachtsweg“; nämlich nichts. Katharina Hartwells neuer, extrem gefühlsduseliger Roman ist ein Archiv schiefer Vergleiche, falscher Bilder und unbeholfen-naiver Sprache: „Knochen sind wie eine Rüstung, oder? Sie stützen einen, schützen das Innerste, das Herz liegt hinter den Rippen wie in einem Käfig. Gleichzeitig sind sie wie ein Geheimnis, das man unter der Haut trägt.“

Die Figuren dieser Geschichte dürfen nicht bloß etwas „sagen“, nein, sie echoen, murmeln, gestehen, protestieren. Das komplette Buch kommt in seiner kitschigen Belanglosigkeit daher wie die Kunst dieses Ira Blixen: „Nicht nur Müll und Drahtspinnen hat Blixen in dem Baum verarbeitet, sondern auch seinen Knochenschmuck, filigrane Gabelanhänger aus Echtgold, die er aus Prag mit nach Deutschland gebracht haben muss. Es glitzert und funkelt in dem Gewirr aus Ästen, toten Blättern und Staubflusen. Paul will die Zweige aus spröden, trockenen Blättern nicht berühren, aber etwas zieht ihn immer wieder und jedes Mal näher zu dem Baum, bis er mit der Nasenspitze an erste Staubflusen stößt und niesen muss.“ Das ist beinahe der Höhepunkt dieses stilistisch, sprachlich, inhaltlich rundum missglückten Romans: ein Niesen des Helden, ein Gähnen des Lesers. Es kostete nicht weniger als drei Wochen, bis dieses Buch komplett gelesen war.

Katharina Hartwell: „Der Dieb in der Nacht“, Berlin Verlag, 318 Seiten, 20 Euro

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