Rezension: „Ohne mich“

Am heutigen Donnerstagabend wird der Debütpreis des Kölner Lesefestivals lit.COLOGNE vergeben. Nominiert ist auch Esther Schüttpelz mit ihrem Roman „Ohne mich“, der vor zwei Wochen im Zürcher Diogenes Verlag erschienen ist. Über ein Buch, das man als feministische, in die Gegenwart versetzte Neu-Fassung von Benjamin von Stuckrad-Barres „Soloalbum“ lesen kann.

Konstruktiv und zugewandt soll gegenwärtig die Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen sein – der diametral entgegengesetzte Zynismus ist übel beleumundet. Befreiend unzeitgemäß erscheint daher die weibliche, überaus zynisch in die Welt blickende Hauptfigur aus Esther Schüttpelz’ Debütroman „Ohne mich“. Früh hat sie geheiratet, sich ebenso früh wieder von Ihrem Gatten getrennt. Jetzt muss sie allein triste Tage und notgedrungen auch die eigenen Launen ertragen.

“Auf die Frage, wieso wir denn dann überhaupt geheiratet haben, erzähle ich meiner Tante, Dauersingle, esoterisch, was von ‘jugendlichem Leichtsinn, meinem Cousin, schon immer vierzig, SEHR glücklich verheiratet, drei Kinder, ‘leider nicht so ein Glück gehabt wie du’, und meiner Oma, alt, Oma, habe ich einen kleinen Vortrag darüber gehalten, dass man sich ja heute glücklicherweise scheiden lassen kann, wenn man unglücklich ist, was mir sofort leid tat, weil sie ganz blaß wurde und stammelte, ‘der Opa hatte auch gute Seiten.’“

Aufräumen, weitermachen

Es gibt zahlreiche Gegenwartsromane, die vom leidigen Trennungs-Ennui berichten, wie Benjamin von Stuckrad-Barres „Soloalbum“-Debüt, das wie eine Folie für Schüttpelz’ „Ohne mich“ erscheint, beginnend beim ersten Absatz. Hier wie dort wird eine Wohnungstür geöffnet, in beiden Romanen wird die verflossenen Liebe mit ironischen Tönen besungen und gegen die Hoffnungslosigkeit ein heilsames Dennoch gesetzt.

“Zum Heulen habe ich keine Zeit. Eigentlich. Echt nicht. Ich habe alles richtig entschieden, das weiß ich – das weiß ich doch, oder? Ja, irgendwo unter all den anderen Dingen, die ich nicht weiß, weiß ich das, ICHWEISSDASDOCH. Also. Aufräumen. Weitermachen.“

Schwungvoll erzählt „Ohne mich“ eine alte Geschichte unter neuen, feministischen Vorzeichen. Man entwickelt schnell Sympathie für diese schlechtgelaunte, offensichtlich misanthropisch gestimmte Ich-Erzählerin, die als Fremdkörper in eine überpsychologisierte, überambitionierte, übervorsichtige Szenerie gesetzt wird. Hin- und hergerissen zwischen der sich trüb zeigenden Gegenwart und den zahlreichen, im Nachhinein nicht weniger trüb erscheinenden Beziehungserinnerungen, ist dieser Frau alles ekelerregend, auch die liebvollen Gesten der anderen, ihre Behutsamkeiten und so akkurat gehegten Welteinstellungen.

„Der Ben, der ist für sein junges Alter, zwanzig ist er gerade mal, schon so weit und interessant und politisch gebildet und Feminist ist er auch, der Ben. Als er das erwähnt, kommt mir zum ersten Mal der eigentlich naheliegende Gedanke, dass es klug sein könnte, sich bei der Auswahl von Sexual- und Emotionalpartnern stärker auf die sogenannte Generation Z zu fokussieren, auf die selbstverständlich gendernden fridays-for-future-Männer, die sich in ihrer Freizeit über kritischen Rap unterhalten.“

Yoga mit Rotweinflasche

Tief im Inneren möchte diese Frau selbstverständlich nicht einen dieser fridays-for-future-Männer treffen, sondern zurück zum verlassenen Gatten, während um sie herum neue Beziehungen geknüpft, Freizeitaktivitäten verabredet, Karrieren verfolgt werden. Dem entgegengesetzt absolviert die Mittzwanzigerin eher lustlos die verschiedenen Stationen ihres Rechtsreferendariats. Den privaten Haushalt lässt sie schleifen. Der Körperpflege geht sie nur so weit nach, dass kein Anstoß erregt wird. Irgendwann landet sie allein in einem spanischen Yoga-Retreat, wo sie erneut gegen verschiedene Usancen verstößt und sogleich zur Rotweinflasche greift.

„Am Anfang waren alle noch zögerlich, wollten sich wohl nicht entlarven. Als Fake-Yogis oder so was. Mir war das schon am ersten Abend egal, denn mir sollte es gut gehen hier. Ich kaufte also eine Flasche Rotwein und trank ein Glas, nur eins, weil ein bisschen unangenehm war es mir dann doch. Am zweiten Abend standen mehrere Flaschen auf dem Tisch, und alle wirkten erleichtert.“

In dieser Erleichterung liegt der Reiz des Romans, in dieser permanenten, an Herman Melvilles Bartleby erinnernden „I would prefer not to“-Geste, in diesem sich Nicht-anpassen-Wollen, das eine authentische Lebenslust birgt. Esther Schüttpelz’ „Ohne mich“ ist ein gelungenes, überaus unterhaltsames Debüt über persönliche Freiheiten in restriktiven Zeiten, eine Geschichte über das Spannungsverhältnis von Autonomie und Zugehörigkeit – und am Ende mit einer Idee, wie der zunächst heilsam erscheinende Zynismus doch noch überwunden werden kann.

Esther Schüttpelz: „Ohne mich“, Diogenes, Zürich, 210 Seiten, 22 Euro

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