Rezension: Mann im freien Fall

Die Flugzeugentführung des US-amerikanischen Gentelman Cooper im Jahr 1971 gehört zu den ikonographischen Verbrechen des Zwanzigsten Jahrhunderts. Jens Eisel aus Hamburg hat die hierzulande unbekannten Geschichte in einen brillanten True-Crime-Roman verwandelt. (Das Beitragsbild ist von Jens Eisel und zeigt ein Modell der damals gekaperten Boeing 727.)

Als die Stewardess Kate mal wieder einen Zettel zusteckt bekommt, vermutet sie eine Telefonnummer oder ein kitschiges Gedicht – die übliche Anmache eines Geschäftsreisenden, die sie ignorieren will. Als ihr der Passagier aber mit aufdringlichen Gesten bedeutet, sie müsste sich sofort ansehen, was er geschrieben hat, faltet sie das Papier auseinander. Sie liest. Dann wird ihr schlagartig übel. Kate sieht in Richtung des Passagiers, der auf einen Koffer deutet. „Obwohl sie die Sätze zweimal gelesen hatte, erinnerte sie sich nur an zwei Wörter: Entführung und Bombe.“

Es ist der 24. November des Jahres 1971 auf dem Northwest Orient Airlines Flug 305, einen Tag vor Thanksgiving. In der Boeing 727 sind neben dem Entführer 36 weitere Passagiere und sechs Crewmitglieder auf dem Weg von Portland in Oregon Richtung Seattle. Der Mann mit dem Koffer trägt einen eleganten, schwarzen Anzug. Seine Sonnenbrille hat er nur kurz abgenommen, als er beim Einstieg seine Bordkarte reichte, die auf den Namen „Cooper“ ausgestellt ist. Bevor er diskret seine Forderungen nennt, zündet sich Cooper eine Zigarette an und versichert dann gegenüber Kate, niemand würde zu Schaden kommen, die Passagiere müssten nichts mitbekommen. Die Sache sei simpel: „Ich fordere zweihunderttausend US-Dollar in gebrauchten Scheinen und vier Fallschirme. Das Geld soll in einem Wäschesack verpackt werden. Außerdem will ich, dass das Flugzeug in Seattle aufgetankt wird. Und es sollen genug Lebensmittel und Getränke für fünf Personen an Bord gebracht werden.“

Bag full of Money

In Richard Nixons Amtszeit von 1969 bis 1974 gab es in den USA über einhundert Flugzeugentführungen – doch allein D. B. Coopers Coup ist zum Mythos geronnen, weil der unbekannte Gentleman-Gauner mit seiner Beute in 3000 Metern aus dem Flugzeug gesprungen und seitdem verschollen ist. Als die Ermittlungen 2016 nach 45 Jahren erfolglos eingestellt wurden, war Cooper längst Teil der Popkultur.

Bereits 1973 spielte der US-amerikanische Sänger Roger McGuinn im Song „Bag full of Money“ auf die Flugzeugentführung an. In der legendären „Twin Peaks“-Serie von Regisseur David Lynch heißt der ermittelnde FBI-Agent Dale Bartholomew Cooper, auch durch zahlreiche weitere Serien geistert dieses hierzulande kaum bekannte Phantom; von „Prison Break“ bis zur Marvel-Produktion „Loki“ von 2021. In Jens Eisels Roman erinnert sich ein fiktiver Ermittler: “Bitte verstehen Sie mich nicht falsch – ich kann gut nachvollziehen, dass manch einer so etwas gut findet. Viele der großen Geschichten sind so angelegt. Sogar in der Bibel. Denken sie nur an David gegen Goliath. Und hoffen wir beim Pferderennen nicht alle insgeheim, dass die Außenseiter am Ende gewinnen?“

Das Ende erkennen ist unmöglich

Jens Eisel hat dreieinhalb Jahre recherchiert, in den USA die wichtigsten Tatorte besucht und dann eine gewaltige Geschichte auf knapp 200 Druckseiten komprimiert. Seine „Cooper“-Fassung arbeitet mit minimalistischen Bildern, lässt sich nie vom Materialreichtum verführen, sondern wahrt die klare Kontur. Der Roman konzentriert sich auf den Abend vor der Entführung, auf die Tat selbst und den daran anschließenden Tag: knapp, schnörkellos, unaufgeregt. – Die Geschichte folgt lediglich drei Hauptfiguren – Cooper, der Stewardess Kate und dem Piloten der Boeing 727. Der spektakuläre Fallschirmsprung nimmt lediglich zwei Seiten ein. Kein Mensch kommt zu Schaden. Die Passagiere sind während des gesamten Fluges ahnungslos. Zuletzt kehrt die Stewardess in ihr verlassenes Apartment zurück, erinnert sich still erst an ihren Berufseinstieg im Alter von 29 Jahren, dann an ihren unerfüllten Traum von Kindern und von einem Mann, der sie ernährt. So sitzt nun sie rauchend da und denkt: „Es war so einfach, den Anfang von etwas zu entdecken, aber das Ende zu erkennen war so gut wie unmöglich.“

Verdammt guter Job

Selbstverständlich erinnert das grafische Buchcover, das Cooper im Anzug und mit wehender Krawatte am Fallschirm hängend zeigt, sowohl an den Vorspann der Retro-Serie „Mad Men“, als auch an die fürchterlichen Bilder der 9/11-Terroranschläge in New York, als sich verzweifelte Menschen aus den Türmen des World Trade Centers zu Boden stürzten. Doch auch von diesen markigen Bildern lässt sich der Roman an keiner Stelle irritieren. Hier machen einfach nur vier Menschen denkbar unaufgeregt einen verdammt guten Job: der titelgebende Cooper, die Stewardess, der Boeing-Pilot – und Jens Eisel, der mit seinem Roman zeigt, weshalb Klarheit schlechterdings die Höflichkeit eines Schriftstellers ist.

Jens Eisel: „Cooper“, Piper, München, 224 Seiten, 22 Euro

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