Rezension: Die Lehmann-Brothers

Nach seinem realen Tourtagebuch „Meine Jahre mit Hamburg-Heiner“ kommt Element of Crime-Sänger Sven Regener nun mit einer erfundenen Fassung um die Ecke – in „Magical Mystery“ gibt es ein Wiedersehen mit Karl Schmidt und, ganz am Ende mit: Herrn Lehmann.

Die Beatles sind inzwischen soetwas wie die Wagner-Festspiele des kleinen Mannes. Während die Oberschicht über Lohegrin-Inszenierungen, Ring-Fassungen mit USA-Anleihen und tätowierte Bassbaritonsänger diskutiert, interessiert sich die Pop-Mittelschicht für Hamburg-Tapes aus dem Star-Club und die gerade auf Deutsch erschienene Biographie „Es begann in der Abbey Road“ von Beatles-Produzent George Martin. Die israelische Schriftstellerin Daniella Carmi nennt ihren aktuellen Roman „Lucy im Himmel“ (nach dem Beatlessong „Lucy in the Sky with Diamonds“) und Sven Regener veröffentlicht „Magical Mystery“, das angelehnt ist an den legendäre Beatles-Film von 1967.

„Magical Mystery“ ist ein Spin-off der brutal erfolgreichen Herr-Lehmann Trilogie, die in den Jahren 2001 bis 2010 erschienen, teilweise auch verfilmt wurde: Mit Christian Ulmen als Herr Lehmann im ersten, mit Frederick Lau in gleicher Rolle bei „Neue Vahr Süd“. Vermutlich haben bei der Ulmen-Sache alle Detlev Buch als Herr-Lehmann-Freund Karl Schmidt ins Herz geschlossen, den Kartoffelchips süchtigen Künstler mit seinen Stahl-Schrott-Installationen. Ein hektisch-tragischer Typ. Das Gegenteil des eher leichtfüßig-gelangweilt daherkommenden Frank Lehmann.

Irgendwann muss Karl Schmidt komplett abgestürzt sein – zum Ende des Romans zeichnet sich ein derartiger Lebensweg bekanntlich ab. Denn zur Eröffnung der neuen Geschichte bewohnt er die Ex-Alkoholiker-WG „Clean Cut 1“ in Hamburg Altona und verzichtet sogar auf Schnapskirschen im Eisbecher. Karl nimmt Antidepressiva, arbeitet als Hilfshausmeister in einem Kinderkurheim, kümmert sich um den Kleintierzoo und wirkt vollkommen abgeschlafft – nach Psychiatrieaufenthalten, Arbeitslosigkeit, Depersonalisationsschüben.

Karl Schmidt ist Mitte der Neunziger gezwungener Maßen dort angekommen, wo Frank Lehmann gestartet ist – nur hat er keinen Spass. Er muss ein Unikum sein in jener Zeit. Da taucht sein altet Kumpel Raimund Schulte auf, der inzwischen ein Technolabel gestartet hat und wie ein aufgezogener Duracell-Hase vor Karl rumkaspert und ihn für eine scheinbar grandiose Idee zu casten. Raimund möchte mit mehreren Techno-Acts durch Deutschland ziehen und in Anlehnung an „Magical Mystery“ der Hippie-Beatles seine elektronische Form der Liebe unters Volk bringen.

Das ist eigentlich keine schlechte Idee. Die Smiley-verseuchte Technoszene hat sich immer wieder von der Hippiekultur mit „Love & Peace“ inspirieren lassen. Das bekannteste Event der Neunziger hieß nicht zufällig „Loveparade“, das prägnanteste Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“. Eben dort möchte Raimund ansetzen. Aber er braucht einen Tourmanager, der keine Drogen nimmt, sich nicht besäuft und der ein unaufgeregtes Wesen hat. Die Neunziger, das war aber Wiedervereinigungseuphorie, Internethype, Aufbruchstimmung. Vom eiskalten Stil der Achtziger blieb allein der strenge 4/4-Takt in den neuen Clubs: „four to the floor“ war Ansage der Stunde. Alle schrieen „Aciiiiid!“

Magical_Mystery_Galiani_gVon dieser Euphorie getragen zieht die Crew also los, zwei Meerschweinchen im Gepäck, landet aber nicht im siebten bzw. Lucys Himmel, sondern auch Rollstuhlparties in der Provinz, in abgeranzten „Künstlerwohnungen“, auf Veranstaltungen, die den spröden Charme einer japanischen Karaokebar ausstrahlen. Der Schwung dieses Buchs entsteht einerseits aus dem XTC-Wahnsinn von Raimund, der permanent seinen eher lahmen Technohaufen in Stimmung zu bringen sucht und sein Magical-Mystery-Konzept zur Mission überhöht, dem andererseits Karl Schmidt gegenübergestellt ist, der das Ganze lakonisch kommentiert oder sich in alter Frank Lehmann-Wortklauberei mit bedauernswerten Hotelangestellten streitet: „Was soll das denn heißen? Late Check-in ist Late Check-in, nicht Irgendwann-Nicht-Mehr-Check-in, was wollen sie also? Wollen Sie und ein schlechtes Gewissen machen, oder was?“ – „Magical Mystery“ ist ein Splapstick-Buch, ein Dialogmonstrum, das sich im Gegensatz zu anderen Tecchnogeschichten schlafen legt, wenn Prime-Time an der DJ-Kanzel ist, stattdessen umso genauer hinschaut, wenn irgendwann mittags das Putzlicht angeht.

Sven Regener: „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt, Galiani, 508 Seiten, 22,99 Euro / Hörbuch bei Tacheles, 8 CDs, ungekürzte Lesung vom Autor

(Magical Mystery in 1LIVE Plan B am Dienstag, 10. September 2013, mit Moderatorin Bianca Hauda)

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1 Kommentar

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