Sind wir alle Krisenkinder?

Nach der viel bemitleideten „Generation Praktikum“ kommen nun die „Krisenkinder“, mit den gleichen – und noch ein paar mehr – Problemen. Drei junge Romane berichten vom harten Los ausgebeuteter Jungakademiker, von Redaktionspraktikantinnen in gelben Bikinis, dummgehaltenen Trainees – und von der kleinen Revolte im großen Sumpf.  Sebastian Christ stellt einen desillusionierten Dauerpraktikanten vor, Yannik Mahr berichtet von echter Liebe am falschen Ort und Boris Fust lässt dem Wahnsinn freien Lauf, im übertragenen und direkten Sinn.

Sebastian Christ gehört zur just neu etikettierten „Krisenkinder“-Generation, der Unter-30-Jährigen, die bestens ausgebildet, mit Auslandspraktika und Edeldiplomen behängt, den Start ins Berufsleben verpasst. Darüber hat der 1981 geborene Journalist einen kleinen Praktikantenroman verfasst, der zum großen Befreiungsschlag ansetzt – allerdings nicht zum Befreiungsschlag für den Autor. Der ist Parlamentsreporter bei Stern.de in Berlin, erfolgreich, im „Berufsleben“ angekommen. „Ich glaube aber auch nicht, dass man als Autor so wahnsinnig viel mit den Figuren gemeinsam haben muss, über die man schreibt, man will ja letztendlich eine Geschichte erzählen, die Wahrhaftiges in sich birgt“, sagt er im Gespräch, „ich finde, Authentizität vermittelt sich nicht nur über die eigene Biographie, sondern auch über die Art und Weise, wie man schreibt.“

5159dHExTcL._SY344_BO1,204,203,200_Sebastian Christ erzähl im lockeren Parlandoton der 90er-Jahre-Popliteratur: Sein Held Jan Hesse hat im Buch weniger Glück als der Debütant. Jan zieht erfolglos seit Jahren wie ein chinesischer Wanderarbeiter von Praktikumsstelle zu Praktikumsstelle. Während er sich nun beim Hamburger „Kinomagazin“ ausbeuten lässt, erkennt er, dass sein ehrgeiziges Musterlebenslauf-Leben gegen die Wand fahren wird. „Die einen haben Angst, ihren Job zu verlieren, die anderen, ihn zu kriegen“, heißt es im Roman. Jan revoltiert stellvertretend für die „Generation Praktikum“ gegen Ausbeutung und Leistungszwang. Der Autor spricht sich, ganz im Sinne seiner Figur, für eine staatliche Kontrolle universitärer Praktika aus, sieht „300 Euro monatlich als Grundlohn“ ebenso angemessen wie die „Begrenzung des Praktikums auf ein halbes Jahr.“ Durch die Einarbeitungszeit ergäben sich zwangsläufig Hindernisse, man könne keine Vollzeitstelle über Jahre hinweg mit dem gleichen Praktikanten bestücken. Kleine Änderungen würde das Los der „Generation Praktikum“ (Christ vermeidet den Begriff „Generation“) erleichtern. Aber sie allein sorgen nicht für einen erfolgreichen Schnupperstart ins Berufsleben.

Auch der Praktikant kann mit seiner Einstellung eine Menge bewegen: „Oft ist es doch so, man macht eine Station, in seiner Biografie, dieses Praktikum in einem gewissen Betrieb und man fragt sich dann schon, was danach kommen soll, aber ich finde nicht, das man das in der Situation gleich fragen sollte, sondern man sollte versuchen, in seiner eigenen Arbeit erst einmal Spaß zu haben, in dem Moment, in dem man sie tut, und zum Zweiten sollte Arbeit eben auch meines Erachtens nach ein Stück weit zur Persönlichkeitsbildung beitragen und man sollte sich in dem wiedererkennen, was man macht.“

Damit hat der Held von Yannik Mahrs heiterer Mediensatire „Die Praktikantin“ etliche Probleme. Festangestellte kennen den Spruch „never fuck in the factory.“ Johann Walder, der neue Chefredakteur einer Provinztageszeitung macht in Yannik Mahrs Debütroman dennoch alles falsch. Der Karrierejournalist wird von Münchens „Metro News“ nach „Wützen“, einer fiktiven Kleinststadt in NRW geschickt, um das dortige Lokalblättchen aus den roten Zahlen zu bringen. Umgeben von einem dauernörgelnden, grundfaulen, dem Alkohol nie abgeneigten Redakteursteam ist das nahezu unmöglich, gäbe es nicht Elisabeth, eine junge Praktikantin, die Johann beruflich und privat flashed – mit turbulenten Folgen. Yannik Mahrs heitere Mediensatire ist unterhaltsamer Stoff für den Sommerstrand, weniger energisch als der Praktikantenroman von Sebastian Christ, dafür aus der entgegengesetzten Perspektive geschrieben, die nur bestätigt, was Jan Hesse in seinem Ausbeuterpraktikum widerfährt – allerdings mit optimistischerem Ende.

41WRaCMIIGL._SY344_BO1,204,203,200_Boris Fust, der bereits im Sommer 2008 mit seinem Praktikantenroman „Zwölf Stunden sind kein Tag“ debütierte, führte vor Sebastian Christ und Yannik Mahr die Welle dieser Art von Literatur weiter, die Anfang 2006 mit „Die Lebenspraktikanten“ in die Läden und Feuilletons schwappte. Sein Held Arne jobbt bei einem größenwahnsinnigen Agenturchef als Praktikant, muss zwischen Kaffeekochen und Dubai-Esoterikreisen allerhand Unsinn über sich ergehen lassen und erträgt seine schwere Geschichte nur aufgrund seines anarchischen Wesens und seiner popkulturellen Bildung, die ihn mit Ironie und hipper Energie aus dem ipod versorgt. Auch er findet einen Ausweg, der auf der einen Seite institutioneller geprägt ist als bei Sebastian Christ, andererseits aber als echte, große Revolution (inklusive Manifest) daherkommt. „Zwölf Stunden sind kein Tag“ und nicht jedes Praktikum ist ein Gang durch die Höllenkreise – mit diesen Bücher macht das Leiden jedenfalls deutlich mehr Freude.

Sebastian Christ: „…und wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute!“ Goldmann, 180 S., 7,95 € Yannik Mahr: „Die Praktikantin“, Aufbau, 270 S., 8,95 € Boris Fust: „Zwölf Stunden sind kein Tag“, Piper, 220 S., 7,95 €

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