Lokalperlen: Herbert Maier

Der kratzende Stift, mit dem zum Beispiel Kunstrezensionen geschrieben werden, zerreißt alle Bilder, ob gemalt oder fotografiert. Die Speichermöglichkeiten unseres Alphabets sind nämlich größer als jene aller Leinwände, und belichteten Fotopapiere zusammen. Wenn dann ein Künstler wie Herbert Maier in der Wuppertaler Galerie Epikur ausstellt, montierte Flächen – und auf den ersten Blick nicht mehr – präsentiert und das Ganze „Speicher“ nennt, darf jede Kunstrezension spotten.

Oberflächlich gesehen kennt man dergleichen seit 90 Jahren. Da werden farbige Blöcke nebeneinander gesetzt, in Spannungsverhältnisse und Ruhepositionen gebracht. Wirklich erkennen kann man nichts, keine Vase, kein Portrait, vielleicht wirkt eine Anordnung wie Theaterbühne, eine andere wie Tischdeckenmuster, wie Schiffe-Versenken-Kästchen in gelb, braun, grün und schwarz. Damit wäre (oberflächlich) alles geschrieben und beschrieben, und zwar in wenigen Sekunden. Der Schreiber hat archiviert, gespeichert, wofür der Maler Herbert Maier Stunden, Wochen, Jahre benötigt hat.

Dennoch schlagen diese Arbeiten viele Zeitungsartikel, manches Stefan George-Gedicht, etliche 80-Seiten-Debüts mit links und hauen von rechts auch noch einmal drauf. Warum? Weil Herbert Maiers Bilder als Zeichen auf etwas ganz anderes als auf das offensichtlich Dargestellte verweisen. Natürlich kann man ein abstrahiertes Theater erkennen. Da ist soetwas wie in Vorhang. Der Balken weiter unten wäre stilisierte Bühnen. Man hat einen Raum vor Augen. Plötzlich stört aber die Säule weiter rechts, einer Säule, die im Raum unlogisch wäre. Und der Raum verschwindet, wie beim Kippwürfel, wie bei den 3D-Täuschungen des Magischen Auges.

Der Raum verschwindet und wird wieder Fläche. Nicht mehr? Nun, wenn man weiß, dass diese Flächen mit ältester Lasurtechnik teilweise 70 weitere Schichten unter sich bedecken, dass also Geheimnisse warten, im Bild, gespeicherte Geheimnisse, kodierte Geheimnisse, dann ist man schnell bei der Anfangsthese, ob das Alphabet tatsächlich jedes Bild leichtfertig zerreißen kann, einem Säbelzahntiger gleich.

Es ist bekannt, dass ein Gedicht oft zwei, drei, vier Bedeutungen haben kann. Diese verdeckten Bedeutungen werden auch Kodierungen genannt, zwei-, drei-, vierfache Kodierungen. Und ein Bild, das aus vierzig, fünfzig, sechzig Schichten besteht? Das ist dann im besten Falle vierzig-, fünfzig, sechzigfach kodiert. Womit das Alphabet ausnahmsweise mal verloren hätte. Denn dieser beste Fall kann in der Ausstellung „Speicher“ bis zum 12. März in der Galerie Epikur, Friedrich-Engels-Allee 165 angesehen werden, Di-Fr. 14-19 Uhr, samstags 13-18 Uhr, nach Vereinbarung unter Telefon 887011.

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