Im sich dem Herbst zuneigenden Spätsommer kehren die Parasiten aus dem Urlaub in die Schule zurück: Läuse – aber in den schönsten Bilderbüchern dieses Monats kommt auch ein Puma aus dem Dickicht, Spitzmäuse wandern noch einmal zum Bach und eine Horde Affen sorgt für großen Stunk.
30 Nominierungen gibt es für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2025, der wie immer auf der Frankfurter Buchmesse im Oktober verliehen wird. Hoffnungen kann sich dieses aus dem Spanischen übersetzte „Handbuch zum Überleben auf Menschen“ machen. Es spricht mit den zweitunbeliebtesten Parasiten unserer Kita- und Grundschulkinder: den Menschenläusen (Platz 1 hält ungebrochen der ekelige Madenwurm). Die sechsbeinigen, Juckreiz auslösenden Kleinstviecher werden hier direkt adressiert: „Dieses Handbuch ist ausschließlich für Läuse, die auf den Köpfen von Menschen leben. Wenn du zu einer der anderen zigtausend Läusearten gehörst, besorge dir bitte das für dich passende Handbuch.“ Kinder lernen auf diese Weise nicht nur, um die Ecke zu denken, sondern auch allerlei Wissenswertes über die Pediculidae.
Wir erfahren, dass die Tierchen glattes Haar bevorzugen, dass es in Sibirien einst als Liebesgeste galt, wenn eine Frau ihrem Geliebten eine Kopflaus überreichte, und wie Ivermectin (ein besonders heimtückisches Insektizit), die beinahe liebgewonnenen Gesellen meuchelt. „Für die Umsetzung dieses Buches wurde eine umfangreiche Recherche samt Literaturreview durchgeführt. Über manche Daten herrscht in der Wissenschaft Uneinigkeit. Dieses Buch beruft sich auf jene, die am weitesten verbreitet sind und uns diese Insekten besser verstehen lassen.“ Wie derzeit en vogue, kommen die reduzierten Illustrationen in der Sonderfarbe Neonorange, cool gestaltet, wie so viele Bilderbücher aus dem spanischen Kulturraum – man kann also weiterblättern bei Gómez, Paco Sordo oder auch Santiago Sequeiros. Berta Páramo: „Läuse. Handbuch zum Überleben auf Menschen“, aus dem Spanischen von Stefanie Kuballa-Cottone, Helvetiq, 204 Seiten, 17 Euro, ab 6 Jahre
Der Sommer neigt sich seinem Ende entgegen. Immer weiter müssten wir gen Süden reisen, wollten wir noch einmal baden gehen (zum Beispiel ins Badische, da ist es weiterhin warm). Alternativ geht es mit Tine & Tupf an den See in diesem Bilderbuch der schwedischen Illustratorin Lisa Moroni. Sie stellt zwei unterschiedliche große, schweinsrüsselige Phantasietiere vor, die an einem besonders heißen Sommertag ihren Bau verlassen, um Wasser zu suchen. „Am Bach treffen sie Spitzmäuse. Und sie machen eine schreckliche Entdeckung: ‚Wo ist das ganze Wasser hin?’“ Alle Tiere müssen ob der langen Dürre an den See ziehen, auch Tine & Tupf, die ihr Waldhabitat verlassen. Bepackt wagen sie eine längere Reise, und begegnen weiteren Tieren, die durstig umherziehen: Eichhörnchen, Igel, Frösche und Ameisen. Erst am Strand wird das Leben leicht – und am Ende des Tages setzt endlich der so lang erwartete Regen ein in dieser wimmelnd gestalteten Geschichte, die uns mit dem nun anbrechenden Herbst versöhnen sollte. Lisa Moroni: „Tine & Tupf. Sommer am See“, aus dem Schwedischen von Cornelia Boese, NordSüd, 48 Seiten, 18 Euro, ab 4 Jahre
Dass Menschen von Affen abstammen, gilt insbesondere in evangelikalen Kreisen als narzisstische Kränkung. Im neuen Zeitalter dieser biblischen Weltanschauung (zu der sich 40 % der US-Amerikaner bekennen) kommen der österreichische Schriftsteller Christian Duda (1962 in Graz geboren als Ahmet Ibrahim el Said Gad Elkarim) und die Berliner Illustratorin Julia Friese (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen, ebenfalls in Berlin lebenden Autorin des 2025 gehypten Popromans „delulu“) mit ihrem Bilderbuch. Die Illustrationen stehen zusammen wie aus einzelnen, erst im zweiten Schritt angeordneten Zeichnungen. Sie stellen – meta ist wieder „in“ – einen Zeichner vor, der Leander heißt. Der hat sich diese schöne Aufgabe gestellt: „Leander wollte Affen malen. Da er Affen nur aus Büchern kannte, lud er Affen zu sich ein. Und es kamen Affen. Viele Affen. Kleine Affen, große Affen und so Mittelaffen. Das freute Leander. Er hieß sie willkommen.“ Schnell entsteht der titelgebende „große Stunk“, weil die Affen gegen die menschengemachte Taxonomie aufbegehren – und jeder für sich reklamiert, der einzig wahre Affe zu sein. Der weiße Gibbon definiert seine Artgenossen als kackafarbene Hässlinge, diese wiederum vergleichen weißes Fell mit Taubenschiss. Ein schönes Bilderbuch mit Bonobos, Lemuren, Pavianen, Gorillas und Gibbons – und diesem lustigen Hinweis: „Julia Friese und Christian Duda wissen, dass Lemuren keine Affen sind. Der Lemur aber weiß das nicht.“ Christian Duda (Text), Julia Friese (Illustration). “Großer Stunk”, Beltz & Gelberg, 56 Seiten, 16 Euro, ab 5 Jahre
Aus einem wie mit Buntstiften gemalten Büschel materialisiert sich langsam ein Tier in diesem interessanten Kratz-Bilderbuch. Es greift eine gängige „How to“-Ästhetik der Sozialen Medien auf, Reels, in denen Künstlerinnen die Entstehung eines Gemäldes im Zeitraffer dokumentierten. Das erste vorgestellte Tier, man erkennt es schnell, ist ein Puma, der sich auf jeder Doppelseite verändert, seine Farbe wechselt, im Schwarz verschwindet, dann wieder freigekratzt wird. Auf die gleiche, auch an Daumenkinos erinnernde Weise zeigen die österreichische Autorin Lena Raubaum und die Schweizer Illustratorin Verena Pavoni einen halben Zoo mit Frosch, Schleiereule, Leguan, Kugelfisch – es sind lebenskluge Tiere, die beinahe philosophierend ihrer Existenz begegnen, wie die Eule, die anscheinend sich selbst ermahnt: „Auch das sehen, was das Dunkle / mit Sorgfalt zugedeckt / was sich bangend / flacher atmend / im Lautlosen versteckt / Auch das sehen / was ein Schatten / scheinbar rätselhafter macht / was verschluckt wird / von Gerüchten / und zutage kommt bei Nacht / Auch die hören, die im Stillen / ihre Hilfeschreie schweigen / sich ins Ungesagte ducken / und in Flüstertönen zeigen / Da sein zu jeder Zeit / Ohren offen / Augen weit.“ Lena Raubaum (Text), Verena Pavoni (Illustration); „Schlich ein Puma in den Tag“, Kunstanstifter, 144 Seiten, 19 Euro, ab 5 Jahre