Das Lyrikgespräch im April

Am heutigen Dienstagnachmittag sprechen Beate Tröger, Alexandru Bulucz und ich im Deutschlandfunk „Büchermarkt“ ab 16:10 Uhr über das antikenverliebte Debüt der 1990 in Hannover geborenen Lara Rüter und über den kriegerischen Lyriker Yusef Komunyakaa, der zum Gott der Landmine reist.

Amoretten haben wenig zu tun mit der so ähnlich klingenden Schokolade – die ihren Namen aber gewiss angelehnt hat an jene nackten, geflügelten Knaben, die den römischen Liebesgott Amor seit jeher begleiten. Lara Rüter (*1990) fischt in ihrem „Amoretten in Netzen“-Debüt nach den Ursprüngen und verfolgt diese bist in unsere Gegenwart. „ich glaub, ich bin kurz aus der zeit gerutscht, prompt bin ich mama / von ovid. tippt: alle hände voll to do. drück ich auf delete, blinkt error / mich in goldschrift an, akzeptiere ich, verschlimmert’s sich.“ Sie findet die Venus von Willendorf, ebenso die von Milo und Rimbaud, die (Femi-)Nini Renoirs, eine Undine, eine Echo, zahlreiche Nymphen, „in popsongs kopiert? erst heilig, dann verschlungen.“ Eine Entmystifizierung des Götterhimmels, eine melancholische Suche nach dem Verführerischen auf der einen, nach dem Mütterlichen auf der anderen Seite, verbunden mit Pixelrosen, CRISPR-Genscheren, Clouds – im gleichzeitigen Dialog mit Sappho, der großen griechischen Dichterin und mit Metamorphosen-Ovid, die als Paar auftauchen: „ovid liegt nackt, hier, auf der scherbe. erwartet sappho oder so, seine brüste / fließen seitlich ab. so schutzlos. so sexy. in erwartung seiner mutter“. Der zeitliche Horizont dieser erzählerischen Gedichte ist der einer iPhone-Live-Aufnahme, die auch jene 1,5 Sekunden vor und nach dem eigentlichen Foto aufnimmt. Ja, die Brust des Ovid erscheint weiblich in dieser feminin-emanzipierten, gender-informierten Liebes-Dichtung, die wie so viele Bände unserer Tage den großen, literaturhistorischen Bogen schlägt, die anders ist als die Fachsprachen-Experimente eines Jan Wagner oder die depressiv angehauchten Gen Z-Ironisierungen der jungen Suhrkamp-Kollegin Sirka Elspaß. XOXO-Lyrik, im Anhang selbst einordnend zwischen Schleckmuscheln, Glückskeksen und klirrenden gläsern „bei jedem tritt“. Lara Rüter: „Amoretten in Netzen“, Wunderhorn, Heidelberg, 120 Seiten, 22 Euro

Der Gott der Landminen

Der schwarze Lyriker Yusef Komunyakaa publiziert seit den späten 1970er Jahren ruppige, von Blues und Jazz inspirierte Gedichte, die oft unterm Eindruck seiner traumatischen Erfahrung des Vietnam-Krieges stehen – dennoch kommt auch bei ihm eine Venus von Willendorf vor. 1994 wurde Komunyakaa der Pulitzer-Preis für Poesie verliehen. Und obwohl er in seiner Heimat hochangesehen ist, gibt es erst jetzt einen Band in deutscher Übersetzung – ein Best of immerhin von Komunyakaas Lyrik, die erschienen ist seit dem einschneidenden Jahr 2001. „Ich bin ein Schwarzer, ein Dichter, ein Bohemien, / & in Gedanken bin ich überall hin unterwegs“, schreibt der Autor in seinem „Mohnblumen“-Gedicht und neben die Landminen setzt er einen (an Georg Heym erinnernden) unheimlichen Gott: „Er sitzt auf einem königlichen Purpurkissen / Gleich einem titanischen Ei. Hunde winseln / & kriechen auf allen Vieren durch den Dreck, / Wühlt nur eine Brise seinen süßen Duft auf. // Er sieht aus wie ein beinloser, armloser / Humpty-Dumpty, & zeigte jemand ein Foto / Von einem Amputierten vorm Kaiserpalast / In Hue, würde er nie auch bloß blinzeln.“ Diese zweisprachige Sammlung stellt einen ebenso emphatischen wie rotzcoolen Künstler vor – dessen Dinggedichte („Ode an die Made“, „Schleimpilze“, „Der Helm“) dreckiger wirken, als die jene des (bewundernswerten) Büchner-Preisträgers Jan Wagner, der bekanntlich lang feilt, bis die letzte Zeile passt. Komunyakaas Stücke wirken wie hingeworfen oder vielmehr –geschossen, so treffsicher gelingt ihm, (Literatur-)Geschichte, Leidenschaft und Lifestyle, Trauma und den amerikanischen Traum ins Bild zu zwingen. Selbst Ekstase (das Heilige und die Prostitution in einem einzigen Gospel) kommt unweigerlich auf, denn: „Freude, mach mich zur Hure. / Stülp mich um, so wie Donne / Für sich es Gott wollte. / Zeig mir die Muskeln, die // Sonne auf schwarzem Stein.“ Yusef Komunyakaa: „Der Gott der Landminen“, übersetzt von Mirko Bonné, Edition Lyrik-Kabinett, Hanser, 176 Seiten, 24 Euro.

 

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