Der Wuppertaler Philosoph Peter Trawny hat die Höhen des Denkens erklommen – und seine Heimat Gelsenkirchen hinter sich gelassen. Doch die titelgebenden „Aschenplätze“ bleiben Teil seines Lebens. Aus dem Staub der Bolzplatz-Asche zu den Sternen höchster Erkenntnis, könnte man sagen nach Lektüre dieses radikal ehrlichen Buchs, das „eine Theorie dieses Subjekts“ entfaltet und schonungslos über das eigene, permanente Scheitern berichtet.
Das Leben ist zufällig. Diese Erkenntnis steht am Anfang der Autobiographie des Heidegger-Kenners Peter Trawny, der so das Phänomen des „Geworfen-Seins“ prägnant avisiert. „Ich wurde, wie meine Mutter, aus Versehen gezeugt, was vielleicht einen guten Buchtitel ergäbe: Aus Versehen gezeugt“, schreibt Trawny, der seinem Buch dann doch den Titel „Aschenplätze“ gegeben hat – in denen sowohl die Bolzplatzerfahrungen seiner Ruhrpott-Jugend anklingen als auch seine permanente Beschäftigung mit dem Leuchtfeuer des Denkens, der philosophischen Tradition, bei dem eine Menge Asche abfällt. Und natürlich hört man hier auch, religiös gewendet, das Ende des sterblichen Daseins heraus, Asche zu Asche, Staub zu Staub. Es wird also ein weiter Weg abgeschritten. Der Fußball war die erste Lehranstalt und bietet sich als Vergleichsgröße für alles Spätere an.
Aufgewachsen im Malocher-Milieu
„Der Philosoph von heute unterscheidet sich in seiner Lebensform nicht von einem Eventmanager oder einem Profifußballer“, schreibt Trawny, der in den 1970er Jahren in Jugendmannschaften des DSC Wanne-Eickel gekickt hat, vom FC Schalke 04 sogar zum Probetraining eingeladen wurde – zu dem er nie erschien. Am 17. Dezember 1964 kam Trawny in Gelsenkirchen zur Welt. Er wuchs auf im Malocher-Milieu der Zechenstadt, in kleinbürgerlichen Verhältnissen, zeitweise mit vier Familiengenerationen; darunter der Großvater, ein gelernter Stukkateur, und Trawnys Vater, ein Maschinenschlosser und späterer Fahrsteiger.
“Die beiden Männer tranken Unmengen. Man kann nur hoffen, dass es beim Verspotten blieb … Manchmal wurden dann auch die Möbel verrückt, soll heißen die Ehefrau verprügelt, gewürgt. Ob Kinder zugegen waren, war gleichgültig. Hatte sich eines beschwert, wurde es gleich ebenso verprügelt.”
Ihre Faszination entfaltet die “Aschenplätze”-Biographie durch den harten Kontrast zwischen den oft deprimierenden Lebenserinnerungen auf der einen und den philosophischen Betrachtungen auf der anderen Seite, so eine Kluft zwischen Denken und Leben bezeugend. Peter Trawny erzählt aus seiner Jugend, aus den intellektuell anregenden und sexuell freizügigen Studentenjahren, über seine Leidenschaft für Musik – und sehr offen vom sowohl privaten als auch beruflichen Scheitern.
Zuerst war der Gottes-Mensch
Diese Erinnerungen werden alle paar Seiten unterbrochen durch eine philosophische Geschichte der Subjektivität an sich, einer Subjektivität, die lange mehr erahnt als verstanden wurde und überhaupt erst zu dem werden musste, was wir heute unter Subjektivität verstehen. „Der Mensch ist Subjekt. Das ist er nun schon seit ein paar Jahrhunderten. Nicht, dass er schon immer so bezeichnet wurde. Platon kannte das Wort nicht, auch Aristoteles verwendete es – auf Griechisch natürlich – anders. Damals, in der Nähe des Anfangs, lag das Subjekt noch weit in der Zukunft. Vor dem Subjekt-Mensch lagen mindestens tausend Jahre des Gottes-Menschen. Für die Dichter der griechischen Tragödie war der Mensch einfach ‚der Sterbliche’. Es dauerte also, bis er das Subjekt wurde. Subjekt ist auf Deutsch das Daruntergeworfene, das Zugrundeliegende. Das Zugrundeliegende wofür? Für schlechthin alles.“
So ist auch Peter Trawnys „Theorie dieses Subjekts“ – so der Untertitel – mehr als eine Autobiographie. Es ist schlechthin alles: eine Auseinandersetzung mit künstlerischen und philosophischen Lebenswegen, mit der abendländischen Philosophie von ihren Anfängen bis zu Peter Sloterdijk, eine Erklärung der Liebe und eine Liebeserklärung an jene, die der Philosoph als Privatmensch geliebt hat. Es ist ein Buch über den Vater und das eigene Vater-Sein, über das Scheitern und über die Lust, erfolgreich mit einem Gedanken zu sein, zu reüssieren. „Aschenplätze“ ist ein lebenssattes Buch über einen, der stets hungrig geblieben ist, das Buch eines Wanderers, der weiß, dass er niemals ankommen wird. So endet dieser anregende und anrührende Text, der vom Ich berichtet, der mit dem Wort „Ich“ bereits anfängt, auf eine ganz und gar unnarzisstische, an Martin Bubers Begegnungsphilosophie erinnernde Weise, indem er nicht mehr vom Ich, sondern vom Du spricht und melancholisch bekennt: „Du fehlst.“
Peter Trawny: „Aschenplätze. Eine Theorie dieses Subjekts“, Matthes & Seitz, Berlin, 410 Seiten, 28 Euro