»Als Werk eines Genies«, lobte die New York Times das wirre Debüt »Alles ist erleuchtet« von Jonathan Safran Foer. Ein Amerikaner reist »On the road« durch die Ukraine und erlebt ganz viele skurrile Sachen, bis er eine Überlebende des Nazi-Pogroms trifft: was dann auch schnell skurril geschildert wird. Zum Totlachen.
Jonathan Safran Foer, der amerikanische Held von „Alles ist erleuchtet“, sucht in der Ukraine „das Städtchen, aus dem sein Großvater kam und eine Frau, die er Augustine nennt und die seinen Großvater aus dem Krieg gerettet hat. Er will ein Buch über das Städtchen seines Großvaters schreiben.“ Jonathan engagiert den jungen ukrainischen Dolmetscher Alex, der Wörter extrem lustig verdrehen und falsch anwenden kann. Gemeinsam mit Alex‘ angeblich blindem Großvater als Chauffeur und Sammy Davis Jr. Jr., einem neurotischen Riesenköter, geht es Richtung Trachimbrod, dem Ort, in dem seiner Ur-ur-ur-ur-ur-Großmutter das Leben geschenkt und seinem Großvater beinahe der Tod gebracht wurde. – Diese Reise hatte der Schriftsteller Jonathan Safran Foer, der zufällig so heisst wie sein Held, selbst hinter sich gebracht. Sein Roman will aber keine Doku sein. „Alles ist erleuchtet“ kommt als künstlerisch-gewitzte Aufarbeitung daher, die Foers „Virtuosität und Klugheit“ („Washington Post“) belegen soll, als intellektuelle Masterarbeit, aufgefächert in Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, Konkrete Poesie, Chroniken, Szenen und Poetiken.
„Alles ist erleuchtet“ beschreibt die Geschichte des jüdischen Dorfs, von 18. Jahrhundert bis Ende des 2. Weltkrieges, als blutsaufende Nazis die dort lebenden Juden überfallen. Kaum einer überlebt diese Nacht. Nahezu alle werden erschossen, gejagt, ersäuft. Jonathans Großvater flieht nach Amerika. – Dort überreicht er Jahrzehnte später seinem Enkel ein Foto, auf dem Augustine abgebildet ist, seine Retterin. Jonathan beschließt, diese Frau zu finden. Er will sich bei ihr bedanken, und er will sie treffen, weil er sich für das Überleben seines Großvaters und damit indirekt auch für sein eigenes Dasein schämt. Es ist die Scham eines Überlebenden. – Er ahnt, was sich in der Überfall-Nacht zugetragen haben könnte, der Nacht, die Jonathan Safran Foer brillant protokolliert, in der kurz sein großes Erzähltalent aufleuchtet, in der man sich abwenden möchte, so peinigend ist ihm die Schilderung dieser pervers orchestrierten Erschießung geraten. Hier überzeugt er seine Leser.
Jonathan protokolliert die Reise und schickt das Manuskript an Alex, der zurückschreibt, sich erkundigt, was „Cunnilingus“ ist und immer wieder versucht, in die Geschichte einzugreifen, indem er Jonathan tadelt, ihn fragt: „Wenn wir so nomadisch mit der Wahrheit sind, warum machen wir die Geschichte dann nicht besser als das Leben?“ Das ist eine berechtigte Frage, die doppelt gelesen werden kann. – Denn: Warum macht er die Geschichte nicht besser, dieser Jonathan Safran Foer? Alex gesteht an einer Stelle: „Es gab Teile, die ich nicht verstanden habe, aber ich denke, dass das so ist, weil sie sehr jüdisch sind und nur ein Jude etwas verstehen kann, das so jüdisch ist.“ Das ist ein ganz billiger Trick, mit dem der Autor versucht, seine peinlich-schlüpfrigen Gürtellinien-Scherze zu kaschieren, ein Trick, der seine ebenso kruden wie fad erzählten Szenen „typisch jüdischer“ Schtetl-Bewohner zum esoterischen Prinzip aufwerten soll, ein Trick, der die wirren Anordnung selten ineinandergreifender Passagen folkloristisch überhöht. Es ist ein Trick, der Jonathans großer Geschichte misstraut. Ihr Erzählanlass ist skandalös, schmerzhaft, monströs, lässt jeden Menschen fassungslos zurück. Aber genau diese wichtige Geschichte wurde zum ästhetischen Spielball eines ambitionierten Jungautors. Verschenkt.
Jonathan Safran Foer, 1977 geboren, studierte in Princeton Philosophie und Literatur. Sein Debütroman „Alles ist erleuchtet“ erschien 2002 und wurde drei Jahre später verfilmt, mit dem „Herr der Ringe“-Darsteller Elijah Wood als Jonathan. Für seinen zweiten Roman „Extrem laut und unglaublich nah“ erhielt Foer 1 Million Dollar Vorschuss. Im November 2009 erschien sein erstes Sachbuch, „Eating Animals“, in denen sich der Familienvater Gedanken über Vegetarismus und „richtige“ Ernährung macht. Foer lebt in Brooklyn und ist mit der Schriftstellerin Nicole Krauss („Die Geschichte der Liebe“) verheiratet.
Jonathan Safran Foer: „Alles ist erleuchtet“, übersetzt von Dirk van Gunsteren, Fischer TB, 384 Seiten, 10 Euro