Nach Büchern wie Vanessa F. Fogels „Sag es mir“ (Irakkrieg, Zweiter Weltkrieg), Arnon Grünbergs „Mitgenommen“ (Terrorkrieg) und der für Januar 2011 angekündigten Afghanistan-Kriegsreportage „Das Ende aller Kampfhandlungen“ von Nick McDonell gibt es auch aus Deutschland ein Kriegsbuch, das heftig diskutiert wird: „Deutscher Sohn“ von Ingo Niermann und Alexander Wallasch. Hier wird wenig gekämpft, dafür ganz viel gelitten. Dieser Roman eröffnet die „VIER x Krieg“ – Übersicht. (Das Beitragsbild ist von Wikipedia.)

EINS Der angeschossene Anti-Held liegt waidwund im Bundeswehrkrankenhaus und bekämpft sein Kriegstrauma mit ausuferndem Gang Bang-Sex, vorzugsweise mit Parteigängerinnen von „Die Linke“. Er beschäftigt sich mit obskuren Psychotherapien, Psychopharmaka, Psychostreicheleinheiten. „Mann, Mann, wie kann man schon nach dem Aufwachen so wirr sein?“ Das ist Grundtenor dieses unkriegerischen, unheroischen, dekadenten Romans, der wie Christian Krachts Anti-Kampf-Buch „1979“ beweist: Deutsche Autoren können nicht mehr wie Ernst Jünger oder Ernest Hemingway über Schützengräben, Drohnenangriffe, die Kunst des Kampfes schreiben. Das ist dekadent, ja, das ist unkriegerisch, unheroisch, das ist leider Pop; das ist aber auch Literatur, die nicht direkt zur Mobimachung aufruft. Deshalb darf man „Deutscher Sohn“ als großes Buch bezeichnen. Glücklich ist eine Gesellschaft, die keine Helden braucht. (Ingo Niermann, Alexander Wallasch: „Deutscher Sohn“, Blumenbar, 316 Seiten, 19,90 Euro)

ZWEI Das Dritte Reich fällt im Bombenhagel, doch eine Nürnberger Clique glaubt an ihren neuen Führer, „der selbst diesen von Adolf Hitler geführten, ohnehin sattsam großartigen Weltkrieg in den Schatten stellen sollte.“ Es ist der sogenannte „MANN“ von Lisa Welsner, der Erzählerin, und wie sie keine zehn Jahre alt. Im Rahmen einer grandiosen Werkausgabe der 1992 durch Selbstmord ums Leben gekommenen Gisela Elsner erscheint diese rotzige Satire über Kinder im Krieg, die ihren „Juden“ küren, ein Spiel-KZ bauen, Bombensplitter sammeln und die Hölle ringsum naiv beklatschen. „Ich will aber nicht ins Himmelreich“, beschwert sich der kleine Kiki während einer Predigt, „ich will nur an die Ostfront.“ Ein Buch aus Kindersicht, aber nicht jugendfrei: skandalös. „Zäh wie Leder. Hart wie Kruppstahl“, wollen die Kids im Bombenhagel von Nürnberg sein, kaputt wie alle Ruinen ringsum: das hier ist Literatur ohne Luftschutzkeller. (Gisela Elsner: „Fliegeralarm“, Verbrecher Verlag, 290 Seiten, 14 Euro)

DREI Esther, Ende 20, groß geworden in der ehemaligen DDR ist gelangweilt von ihrer Dreiecksbeziehung mit einem verheirateten Thilo in Berlin, von seiner erstaunlich souveränen Gattin und den zwischengeschobenen, endöden One-Night-Stands mit Berlin Mitte-Slackern. Sie hasst dieses Doris Dörrie-Leben und beschließt, als Soldatin nach Afghanistan zu gehen, in den Krieg, die Hitze, den Staub. Alltag bedeutet hier: selbstgebastelte Bomben aus Schnellkochtöpfen und Düngemittel, „Friendly Fire“, Babys als Köder, Notversorgungen im Panzerwagen, abends Tresengespräche in der Lagerkneipe „Lummerland“. Aber „Kriegsbraut“ ist mehr als ein Selbstfindungstrip, nicht nur für Esther, sondern auch für einige der anderen weiblichen Soldatinnen im Camp. Die merken nämlich schnell, was Krieg an der Front bedeutet:

„Als Ina am Abend auf die Stube kam, warf sie ihre Schutzweste auf den Boden und den Stahlhelm hinterher, so dass es schepperte. Sie ließ sich auf das Bett fallen, zog die Beine bis an die Brust und schluchzte. Maxi setzte sich neben sie. ‚Was ist passiert?’ – Eine Weile schwieg Ina, schluchzte nur. Dann richtete sie sich auf und rief, beinahe kreischend: ‚Es geht los, es wird geschossen.’ Durch die weibliche Sicht bekommt das Buch etwas besonders Grausames. Exakt schreibt Dirk Kurbjuweit über Sexismus im Ausbildungscamp und Selbstmordphantasien traumatisierter Soldatinnen. – Wer sich 2010 beim Antikriegsroman „Deutscher Sohn“ (siehe oben) beschwerte, hiesige Autoren könnten nicht angemessen über den „War against Terror“ schreiben, der findet bei Dirk Kurbjuweit Härte, Kampf und feministisch auseinandergenommenen Full Metal Jacket-Style. „Kriegsbraut“ ist ein wahnsinnig guter Kriegs- und tatsächlich auch Anti-Kriegsroman, der sich nicht mit simplen „Deutsche raus aus Afghanistan“-Parolen zufriedengeben will. (Dirk Kurbjuweit: „Kriegsbraut“, Rowohlt Berlin, 336 Seiten, 19,95 Euro)

VIER Frühling 2009: Im Jahr sieben der amerikanischen Besatzung reist Starautor Nick McDonell („Zwölf“) für knapp drei Wochen in den Irak, als „embedded journalist“. Er geht mit Soldaten auf Patrouille, fährt mit ihren minensichereren MRAP-Panzerwagen durch die staubigen Gassen von Mosul, 350 Kilometer nördlich von Bagdad, er ist anwesend, wenn jugendliche Attentäter verhaftet, wenn Hilfsgüter verteilt und bettelnde Einwohner dieses vom Krieg zerschossenen Landes verscheucht werden. In einer sehr kleinteilig erzählten, auf jeder Seite packenden Reportage erzählt der 28-Jährige von irakischen Dolmetschern, die sich als Selbstmordattentäter entpuppen, von übergewichtigen Soldaten und Chuck Norris-Postern. (Nick McDonell, „Das Ende aller Kampfhandlungen“, übersetzt von Heike Schlauerer, Berlin Verlag, 192 Seiten, 18,95 Euro)

 

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