Rezension: Überall Blut

Hässlich, böse, tödlich sind die menschlichen „Monster“ im gleichnamigen Erzählband von Benjamin Maack. Wer nicht aufpasst, wird überfallen von wirklich brillanten Geschichten.

Es reicht ein Blick ins Boulevard, schon taucht dieses unheimliche Wort „Monster“ auf. Wir sind, so scheint es, von Monstern umgeben. In der Welt von „Bild“ gibt es Schwieger-Monster, Grusel-Monster, Sex-Monster,  Inzest-Monster, Vater-Monster, und wenn es ums Boxen geht, natürlich auch: Knockout-Monster. Gemeint sind keine King Kong-Klone oder Fleisch gewordenen Alptraum-Aliens, sondern gewöhnliche Menschen, die einer schlimmen bis schrecklichen Tat verdächtigt sind, die übermenschliche oder staunenswerte Fähigkeiten besitzen.

Schriftsteller Benjamin Maack stellt in seinen neuen, durchweg gelungenen Erzählungen einige dieser zum „Monster“ mutierten Menschen vor. Da sind zum einen verschiedene Antihelden, die alle Benjamin heißen – wie ihr Autor. Benjamin – Kind der Freude bedeutet dieser Name. Was erst einmal freundlich klingt. Doch die Benjamins im Buch stoßen ahnungslose Passanten auf die Gleise oder weigern sich, den kranken Vater daheim aufzunehmen – woraufhin der sich eine Woche später im Altersheim erhängt. „Überall Blut. Überall dein Blut. Zähne. Haut. Blanke Knochen.“

Gleichzeitig sind etliche der Benjamin-Monster wie perfide Folterknechte geübt, anderen Verletzungen zuzufügen, die ihnen niemals nachgewiesen werden können. In einer Szene liest der jugendliche Benjamin seiner neuen Freundin Nina aus einem Buch über Amerika-Entdecker Christopher Kolumbus vor. Es beginnt als friedlicher Moment, bis der Junge die mordenden und brandschatzenden Christen, durch den Namen seiner Liebsten ersetzt.

„Nina baute große Galgen, die so beschaffen waren, dass die Füße der Opfer beinahe den Boden berührten und Nina jeweils 13 von ihnen henken konnte, und zu Ehren und zur Anbetung unseres Heilands und der zwölf Apostel legte Nina Holz darunter und zündete es an, um sie bei lebendigem Leib zu verbrennen.“ Die Liebste ist verstört, sie bittet Benjamin, mit dieser Horrovorstellung aufzuhören. Die Geschichte endet tragisch.

Bemerkenswert ist die ständige Nähe zum Tier, die Maacks Benjamine anzieht. Es tauchen verletzte Eulen, bemitleidenswerte Krokodile, kuschelige Lassie-Hunde auf. Und ein Satz wirkt wegen dieser Nähe zum Tier doppeldeutig: „Ich glaube nicht an andere Menschen. ich meine, ich glaube nicht, dass es andere Menschen gibt.“ Ist der Mensch dem anderen Menschen in diesen Geschichten also tatsächlich der „Wolf“, von dem bereits der römische Komödiendichter Plautus schrieb. „Homo homini lupus“ heisst eine lateinische Übersetzung, bekannt geworden durch Staatstheoretiker Thomas Hobbes („Leviathan“).

Viele Geschichten haben sich mit diesem Thema abgearbeitet. Dazu gehören die Postapokalypsen wie „The Road“ oder Paul Austers Roman  „Leviathan“, William Goldings „Herr der Fliegen“, es gibt sogar eine „Law & Oder“-Folge unter dem Titel. Benjamin Maack hat sich also ein schwerwiegendes Thema gekrallt und Lover, Freunde, Kinder, Geschwister in Monster verwandelt. Trostlos? Nicht nur. Denn es gibt ein bisschen Hoffnung. Nennen wir es Zivilisation:  „Kein Problem, wenn auf der Straße dein Herz aussetzt, deine Lungen kollabieren, dein Magen durchbricht, weil immer jemand mit einem Mobiltelefon in deiner Nähe ist.“

(Benjamin Maack: „Monster“, Mairisch, 192 Seiten, 16,90 Euro)

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