Rezension: Schöne Ruinen

Es gibt sie noch, die „Schönen Ruinen“. Nicht nur im gleichnamigen Romanbesteller des amerikanischen Edgar Allen Poe Awar-Preisträgers Jess Walter. Sondern auch ain der Cinque Terre, an der italienischen Riviera. Im Herbst 2011 haben eben dort noch Unwetter für verheerende Schäden gesorgt. Es gab die Befürchtung, Teile des mittelalterlich geprägten Weltkulturerbes sei für immer zerstört. In diesem Roman werden sie unsterblich.

„Bis auf Brusthöhe im kalten ligurischen Meer stehend, ließ Pasquale katzengroße Steinbrocken fallen, um den Wellenbrecher zu verstärken, damit das Wasser nicht seinen kleinen Haufen Bausand wegspülte. Pasquales Strand war nur so breit wie zwei Fischerboote, und der Grund unter der dünnen Sandschicht bestand aus schartigem Fels. Trotzdem war es die größte Annäherung an ein flaches Stück Küste im gesamten Dorf.

Die Cinque Terre in Ligurien gehören zu den mondänsten Urlaubsorten von Italien. So war es bereits 1962, in dem der Roman von Jess Walter ansetzt, einige Kilometer von den fünf Meeresdörfern entfernt. Der junge, meist allein in seine Hotel sitzende Pasquale baut im Nachbardorf eigenhändig einen Strand. Er hofft, dass mit dem Strand der Anschluss an die reicheren Nachbarn gelingt. Er ist voller Träume. Da erblickt er in den Wellen diese Frau „in einem Motorboot, das in die Bucht steuerte, am Steindamm vorbeischlingerte und gegen das Ende des Piers rumpelte. Nach einem Augenblick des Zögerns streckte sie im Heck des Boots eine schlanke Hand aus, um nach der Mahagonireling zu greifen: mit der anderen hielt sie ihren breitkrempigen Hut auf ihrem Kopf fest.“

Diese Art des Auftritts ist kanonisch seit Sandro Boticellis „Die Geburt der Venus“, endgültig popularisiert durch James-Bond-Girl Ursula Andress, die in „Dr. No“ verführerisch aus den Fluten steigt – ein Bild, das noch einmal aufgegriffen wurde im Brosnan-Bond „Stirb an einem anderen Tag“ von 2002. Diese Frau aus Jess Walters‘ Schmöker ist ebenfalls Schauspielerin. Sie arbeitet als Statistin am Set des Monumental-Films „Cleopatra“, der zur gleichen Zeit mit Richard Burton und Elisabeth Taylor gedreht wird. Sie ist abgereist, aus Rom, weil sie krank ist: „Schmerzen in der Speiseröhre, Übelkeit, Appetitlosigkeit, Erbrechen, dazu vielleicht eine Schwellung am Bauch. Mit zunehmendem Fortschreiten der Krankheit wären auch andere Regionen betroffen. Darm. Harnwege. Nieren. Selbst die Menstruation.“ Pasquale schüttelte den Kopf. Die arme Frau.“

Sehnsucht, Enttäuschung, das Meer

Pasquale ist sofort verliebt, übersieht jedoch das Offensichtliche. Die Frau ist schwanger. Sie wurde nach einer Affäre mit Richard Burton fortgeschickt, weil diese „anderen Umstände“ die Liaison zwischen dem Weltstar und Elizabeth Taylor behindern würde. Die ausgestoßene kranke Schönheit, die ferne Liebe zwischen den Unerreichbaren und ein verliebter Hotelbesitzer ohne jeden Erfolg. Aus diesen Ingridenzen hätte eine Schmonzette werden können. Aber hier ist ein am amerikanischen Filmerzählen geschulter Schriftsteller am Werk, der mit reduktionistischen Mitteln eine parabelhaften und deshalb über seinen Inhalt hinausweisenden Plot vorlegt.

„Ein Autor braucht vier Dinge, um etwas Großes zu leisten, Pasquale: Sehnsucht, Enttäuschung und das Meer.“ So urteilt ein anderer im Roman auftauchender Schriftsteller. „Schöne Ruinen“ besteht aber aus mehr als der Sehnsucht, der Enttäuschung und dem Meer. Er geht weiter, bis ins abgebrühte Hollywood unserer Tage, wo Pasquale noch einmal auftauchen wird, um die verstoßene, einst schwangere Schauspielerin vergangener Zeiten erneut aufzuspüren. Es entsteht eine Verwicklung antiken Ausmaßes.

Jess Walters schlichter Ton ist kalkuliert. Denn nur so gelingt es ihm (in schön-gleißenden Bildern) vom Allerschrecklichen zu erzählen: Womit man dann wieder bei Elisabeth Taylor ist, bei Richard Burton und dem Monumentalfilm „Cleopatra.“ Echte „Schöne Ruinen“ gibt es höchstens als Kulisse, als romantische Phantasie und auf gut fotografierten Romancovern. Die echten Ruinen sind Zeichen steten Verfalls. „Alt-Tümer sind ein böses Ding“, dichtete Goethe in seinen „Zahmen Xenien“.

Jess Walter fängt seine Leserinnen und Leser ein, blendet sie im gleißenden Sonnenlicht vor schrecklich-schönen Cinque-Terre-Kulisse. Man hat vielleicht auch deshalb zunächst eben nicht bemerkt, dass Sehnsucht, Enttäuschung und Verfall, die angeblich vier Ingredienzen eines guten Schriftstellers, nicht vier sondern nur drei Dinge sind. Aber, so erklärt dieser Roman: „Die Enttäuschung, die müsse man nämlich zweimal erleben.“ So muss man am Ende dieses wunderbaren Romans konstatieren, dass Jess Walter mindestens zweimal ein unglücklicher Mensch gewesen sein muss. Betrüblich für den Künstler, aber hier ein Glücksfall für die Literatur.

Jess Walter: „Schöne Ruinen“, übersetzt von Friedrich Mader, Blessing, 448 Seiten19,99 Euro / dieser Beitrag von 2013 wurde 2025 überarbeitet – 2026 erscheint eine Neuauflage im Kampa-Verlag

WDR 5 BÜCHER _ Beitrag vom 04. Mai 2013

Jan Drees

Ich bin Redakteur im Literaturressort des Deutschlandfunks und moderiere den „Büchermarkt“.

Im Jahr 2000 erschien mein Debütroman „Staring at the Sun“, 2007 folgte ein überarbeiteter Remix des Buchs. Im Jahr zuvor veröffentlichte der Eichborn-Verlag „Letzte Tage, jetzt“ als Roman und Hörbuch (eingelesen von Mirjam Weichselbraun). Es folgten mehrere Club-Lesetouren (mit DJ Christian Vorbau). 2011 erschien das illustrierte Sachbuch „Kassettendeck: Soundtrack einer Generation“, 2019 der Roman „Sandbergs Liebe“ bei Secession. Ich werde vertreten von der Agentur Marcel Hartges in München.

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2 Kommentare

  1. […] (unbedingt dieses Seite ansehen), Georges Rodenbach: „Brügge, tote Stadt“, Jess Walter: „Schöne Ruinen“, Mark von Schlegell: „Dreaming the Mainstream“, Maarten ‘t Hart: „Unterm Deich“,   […]

  2. Hab ich verschlungen, und so schmeckte die Lektüre: http://glamourdick.me/?p=8007

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