Schlesisches Himmelreich

Eine Woche, sieben Kochbücher sieben Mahlzeiten: Weil ich früher Koch werden wollte, dann aber stattdessen Leser geworden bin, gehören Rezeptsammlungen zu meinen Lektürefavoriten. Für jetzt.de habe ich mein Essen fotografiert und zeitgleich Kochbücher aus unterschiedlichen Ecken angeschaut. Es geht simpel los – mit dem Grundkochbuch von Dr. Oetker.

Tag_1_SchnitzelDieses Teil ist ein Klassiker. Anhand des Dr-Oetker-Schulkochbuchs habe ich die ersten Gerichte gelernt, allerdings nicht in der Schule, obschon man dort „Hauswirtschaften“ als Wahlpflichtfach belegen konnte. Damals interessierte ich mich aber mehr für Insekten, statt für Käfer-Feinkostprodukte. Von dem Schulkochbuch habe ich gehört, weil meine Mutter anhand dieses Bandes kochen gelernt haben will, Anfang der 70er Jahre muss das gewesen sein. Wässrig machte sie uns Kindern den Mund mit Erzählungen über Pudding aus echten Vanilleschoten. Irritierender Weise gab es bei uns dennoch nur aufgekochtes Pulverdessert, einmal in der Woche, weshalb ich in meiner ersten Wohnung täglich eine Portion Pudding zum Abendbrot aß. So hat jeder sein Päckchen zu tragen, in dem Fall das mit Vanille-E-Irgendwas und Stärke.

Neben dem Dr. Oetker-Schulkochbuch besitze ich einen Jubiläumsnachdruck der 1960er-Ausgabe, das Grundbackbuch (zerfleddert) und eine Pastarezeptesammlung aus der Dr. Oetker-Reihe. Neu hinzugekommen ist die abgespeckte 8,99 Euro-Taschenbuchvariante, „Grundkochbuch“ getauft, „für alle, die noch am Anfang ihrer Kochkarriere stehen“ (Klappentext). Ich habe mich zum Einstieg entschieden für den Klassiker: Jägerschnitzel, Salat, Pommes vom Imbiss. Klappte wunderbar, weil das Grundkochbuch idiotensicher aufgebaut ist, keine Spielereien veranstaltet, niemals Fachtermini verwendet und die Zubereitung eines Gerichtes derart kleinteilig präsentiert, dass jeder, der mit Lego-Bauanleitungen zurechtkommt auch hier keine Probleme haben dürfte. Dazu gibt es ausreichend Bilder, die zeigen, wie genau Porree gewaschen oder ein Stück Fleisch geschnitten werden soll.

Ohne TitelNiedlich sind die allereinfachsten Rezepte wie die verschiedenen Grundsaucen, der „Grüne Salat mit Zitronen-Kresse-Dressing“, eine Anleitung zum Steakbraten, ebenso auf Seite 100 allen Ernstes eine vierteilige Erklärung unter der Überschrift: „Gekochte Eier“ mit Erläuterungen der Art: „Eier auf einen Löffel oder eine Schaumkelle legen und vorsichtig in das kochende Wasser gleiten lassen (die Eier sollten mit Wasser bedeckt sein). Das Wasser wieder zum Kochen bringen.“ Gerichte wie „Salzkartoffeln“, mit dem Hinweis: „Kartoffeln schälen, schlechte Stellen entfernen“ ermöglichen eine voraussetzungslose Hinführung zur „Faszination Garprozess“.

Dazu kommen Kalorienangaben, Sätze der Art „Gemüse schmeckt einfach unschlagbar gut, hält gesund und fit“, sowie „Braten und Steaks – ein Trend, der nie vergeht.“ Irritierend sind Rezepte, die direkt auf das Dr. Oetker-Fertigsortiment zugeschnitten sind, Pudding hier also tatsächlich in der „Gala“-Pulvervariante angegeben und als Rezept eigentlich bloß die Packungsrückseite auf einer halben Seite hergezeigt wird.

Die größte Freude bringt der Rezeptevergleich zwischen dem Schulkochbuch 1960 und dem Grundkochbuch von 2009. Es fehlen in den neuen Ausgaben zeittypische Gerichte wie die „Kümmelkartoffeln mit Quark (nach Dr. Bircher-Becher)*“, die „Schleie, blau gedünstet“, das „Backobst mit Klößen (Schlesisches Himmelreich)“ oder auch „Fisch überbacken (Resteverwertung)“ und der „Einlauf (Suppeneinlage). Stattdessen gibt es Neumodisches aus Asien und Übersee wie die „BBQ-Sauce (Barbecue-Sauce)“, das „Tilapia-Filet auf mediterranem Gemüse“, „Gegrillte Riesengarnelen mir Cocktailsauce“ und „Hamburger“. Die Küche im postheroischen Zeitalter, sie kennt nicht einmal mehr Worte wie Restverwertung, ebenso wenig Mahlzeiten, die nach promovierten Müsli-Pionieren benannt sind. So bleibt nur der Trost, dass die Oder-Neiße-Grenze heuer anerkannt und das „Schlesische Himmelreich“ den Küchenkanon verlassen hat. Nach dem Dr. Oetker-Grundkochbuch eine Mahlzeit zuzubereiten, ist überaus leicht – morgen wird es deutlich schwerer werden.

Dr. Oetker: „Grundkochbuch“, Heyne, 162 Seiten, 8,99 Euro (TB-Ausgabe von 2011)

* die Erläuterungen in den Klammern stammen allesamt nicht von mir, sondern stehen eben so in dem jeweiligen Kochbuch.

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