Rezension: Kochen ist der neue Sex

Noch einmal alle Ex-Freunde treffen – diesen Wunsch hat Wanda, gerade 30 geworden, in Eva Lohmanns zweitem Roman „Kuckucksmädchen“. Gelingt der Erfolgsautorin von „8 Wochen verrückt“ mit ihrem Unentschlossen-Buch ein neuer Hit? (Beitragsbild: www.fotograf-hamburg.org – Gunnar Meyer)

Zu Beginn wirkt „Kuckucksmädchen“ wie eine Fortsetzung von Eva Lohmanns Burnout-Bestseller „8 Wochen verrückt“, nicht nur aufgrund der bereits im Titel vorkommenden Ähnlichkeit mit dem Psychiatrieklassiker „Einer flog übers Kuckucksnest“. Heldin Wanda wacht auf in einem sehr sehr hellem Schlafzimmer. Sie liegt auf einem weiß lackierten Metallbett. „Der Raum sieht aus wie ein unbeschriebenes Blatt“. Ist hier wieder eine überforderte, junge Frau mit psychischen Auffälligkeiten im Sanatorium gelandet, quasi aus der Wirklichkeit durch den Kaninchenbau in eine fremde Welt gefallen, wie „Alice im Wunderland“? Aus dem Buch zitiert Eva Lohmann, ebenso wie in „8 Wochen verrückt“, gleich auf Seite eins mit den Worten: „Wenn du das Ziel nicht kennst, ist die Wahl des Weges unwichtig.“

Dieses Mal geht es aber nicht um die „Geschlossene“, sondern um dass „Offene“ – mit allen damit verbundenen Problemen. Denn Wanda aus Hamburg ist gerade 30 Jahre alt geworden, steckt fest in einer Langzeitbeziehung mit Johannes, hat einen Job als Wohnungsauflöserin, eine sexuelle reiche Vergangenheit – und Dank akademischer Vorbildung zig Möglichkeiten für die kommenden Jahre: Kinder, Küche, Karriere, Eigenheim, was einem Frauenmagazine eben als wünschenswert andrehen wollen. Da will Wanda aber nicht mitspielen: und reisst aus. Gerade eben noch wollte sie mit Johannes in die Wohnung ihrer verstorbenen Großeltern ziehen. Nun erbittet sie sich eine Auszeit vom Alltagstrott, von den Kochabenden, der Beziehungsroutine, um ihre Verflossenen abzureisen.

kuckucksmaedchen-9783492055468_xxlDas klingt ein bisschen wie „Hey Hey Hey“, von Rebecca Casati. Im Jahr 2001 machte die Journalistin mit ihrem Debütroman Furore, der Heyne damals hunderttausend DM Vorschuss wert gewesen sein soll. Bei Casati versucht ein Typ  die letzten Frauen aus seinem Sexalphabet aufzutreiben. Er will sich keinesfalls binden.

Elf Jahre später checkt bei Eva Lohmann eine Frau die Männerliste ab. Sie besucht Max und seine Öko-Großfamilie, die ihr vorkommt wie ein Bullerbü-Klischee. Die Bücher im Wohnzimmer sind nach Farben sortiert. Sie lernt die süchtig machende Swingerclubszene kennen, reist mit unrasierten Beinen zu einem Jugendfreund (geht aber dennoch fremd). Sie recherchiert auf Facebook alte Urlaubs-One-Night-Stands und wägt ab, „ob es wohl irgendeinen Mann auf der Welt gibt, bei dem ich weniger Zweifel hätte“. – Alles ist möglich heutzutage. Teufel Internet und fehlende Konventionen sind bei Wanda schnell als Schuldige ausgemacht.

Sie titscht wie ein Flummi durch den Möglichkeitsraum. Einen Heiratsantrag will sie nicht annehmen – aber Jonathan verlieren, nur weil Kochen der neue Sex geworden ist, das will sie auch nicht wirklich. Oder doch? „Bis auf ein paar heimliche SMS mit Max ist bei dir seit Jahren nichts Aufregendes passiert.“ Eva Lohmann beschreib mit Ironie und Herzenswärme, wie sich eine geschlechtsreife Großstädterin am Ende der Paarungszeit windet, um keinesfalls eine Entscheidung treffen zu müssen. Vielleicht würde Wanda eine der Pillen helfen, die der amerikanische Schriftsteller Benjamin Kunkel bereits 2006 in seinem Roman „Unentschlossen“ erfunden hat. Durch diese werden alle Entscheidungen leicht, es gibt kein Aufschieben mehr, keine Ausreden. Mit dem „Abulinix“ genannten Medikament entwickelt sich bei Kunkel selbst ein beziehungsgestörter, pseudophilosophischer, partymachender Nichtsnutz aus New York zum Gestalter des eigenen Schicksals. – Genau diese Kunst sucht Wanda, das „Kuckucksmädchen“ – und als Leser fiebert man mit, ob es ihr gelingt, eine Entscheidung zu treffen, bevor die Entscheidungen für sie getroffen werden.

Eva Lohmann: „Kuckucksmädchen“, Piper, 178 Seiten, 16,99 Euro

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