Rezension: Geh zum Arzt!

Bret Easton Ellis, bekannt geworden als ätzender Achtziger-Jahre-Chronist des amerikanischen Wohlstandshedonismus schreibt mit „Weiß“ eine schrullig-genervte Betrachtung über das gefallene Empire nach 9/11. Will man das lesen?

„Mein Freund und ich waren uns jedoch sehr bewusst, dass wir ganz bequem in einer anderen Blase saßen, die heute als weißes, männliches Privileg identfiziert wurde. In gewisser Weise mochte das stimmen, aber ich betrachtete meine Hautfarbe oder meine Männlichkeit nicht als die bestimmenden Aspekte meiner Identität – oder jedenfalls war ich mir dessen nicht sonderlich bewusst gewesen (zumal ich ohnehin nichts daran ändern kann).“

Kurz vor Ende seines neuen Buchs fasst Bret Easton Ellis sein gefühltes Dilemma ein letztes Mal zusammen. Er weiß augenscheinlich nicht, wie er sich in einer Welt orientieren soll, die sich seit den islamistisch geprägten Terroranschlägen vom 11. September 2001 stark gewandelt hat. Es ist seine Welt, die von der Täter- auf die Opferseite gewechselt ist. Der Autor problematisiert, in welcher Weise die (Selbst-)Viktimisierung zur akzeptable Erzählform emporgestiegen ist, und nicht nur Opfer von Angriffskriegen oder ethnischer Säuberung betrifft, sondern etliche Individuuen.

Es ist ein Umschwung, der Ellis missfällt: „Wenn Sie ein intelligenter Weißer sind, aber so traumatisiert von irgendetwas, dass sie sich im Gespräch selbst als ‚überlebendes Opfer’ bezeichnen, dann sollten Sie wahrscheinlich das Nationale Zentrum für Opferhilfe in Washington kontaktieren und um Unterstützung bitten. Wenn Sie eine weiße Amerikanerin sind, die Shakespeare oder Melville oder Toni Morrison nicht lesen kann, weil es irgendwas Schädliches in ihnen ‚triggern’ könnte und weil solche Texte ihre Hoffnungen untergraben, sich durch ihre Opferrolle definieren zu können, dann sollten Sie einen Arzt aufsuchen, Konfrontationstherapie beginnen oder Medikamente nehmen.“

Das klingt sehr nach Jordan Peterson, nach gestählter Männlichkeit, nach Neo-Liberalismus und Whataboutism. „Weiß“ ist ein unbarmherziger Band, in dem ein priviligierter Mann schlechterdings nicht akzeptieren will, dass minorisierte Bevölkerungsgruppen plötzlich zur Sprache finden.

Beginnen wir beim Cover, das schwarz ist und damit in Differenz zum Titel steht. Eine Erklärung könnte sein, dass sich „Weiß“ über 300 Seiten hinweg mit Widersprüchen beschäftigt, und diese Aufmachung hat, weil es seine Dialektik bereits auf dem Titel verdeutlichen will.

„Weiss“ ist ebenso eine #AltRight-Referenz. Das Buch denkt an vielen Stellen nach über Zeitgeist-Phänomene wie den US-Präsidenten Donald Trump, der bei Bret Easton Ellis steht für eine seiner Ansicht nach verständliche Sehnsucht. Es ist die Sehnsucht nach dem Unprofessionellen, dem Proletenhaften, dem Gegensatz zum Wall-Street-Hedonismus, zu den Young Urban Professionals – und damit auch zum weißen, alten Mann.

Wer ist dieser alte, weiße Mann? Das wird umfangreich beoabchtet, weshalb wir in diesem Buch Etliches hören über Frank Sinatra, über Country-Musik, John Travolta und die Verführungsmacht von Richard Gere im Kinofilm „American Gigolo“ aus dem Jahr 1980.

Wieviel Pop steckt in „Weiß“? Es beginnt mit den freizügigen Filmen und Büchern der 1970er, seiner Jugendzeit, als die Welt für Erwachsene eingerichtet war, an der Kinder wie selbstverständlich teilhaben konnten. Für Ellis fielen mit den Terroranschlägen von 11. September 2001 nicht nur die Twin Tower, sondern das zentralistische US-amerikanische Empire. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sieht er als eine der Massenmedien, des Fernsehens, des Films, der Popmusik. Danach zersplittern die popkulturellen Erscheinungen. Es gibt Blogs statt Blogbuster und der Feind ist kein singulärerkommunistischer Staat, sondern es sind dezentralisierte Rebbeln, islamistische Verbrecher. Pop steht also für das Groß-Geeinte und bezieht sich deshalb auf die bombastischen Zwanzigstes-Jahrhundert-Erzählungen von Geschichte, Kunst, alltäglicher Lebenswirklichkeit.

„Weiß“ ist die erste nicht-fiktionale Langschrift von Ellis, die sich einerseits unterscheidet von anderen Veröffentlichungen. Gleichzeitig gibt es Prallelen. In einem von Ellis zitierten (unveröffentlichten) Vorwort zu Charlie Chaplins Autobiografie aus dem Jahr 1964 steht: „In diesen Aufzeichnungen werde ich nur berichten, was ich berichten will, denn es gibt eine Grenzlinie zwischen einem selbst und dem Publikum. Wenn ich manche Dinge der Öffentlichkeit preisgäbe, hätte ich nichts mehr, um Leib und Seele zusammenzuhalten, und meine Persönlichkeit würde verschwinden wie die Wasser der Flüsse, die ins Meer strömen.“

Der Held in „Lunar Park“ von 2005 heißt Bret Easton Ellis. In „American Psycho“ nimmt der Autor eine reale Begegnung, die er im Fahrstuhl mit Tom Cruise hatte als Ausgang für eine Szene, in der sein mordender Anti-Held Patrick Bateman im Roman auf den damals erfolgreichsten Schauspieler der Gegenwart trifft. Ich und Figur, Ich-Sagen, ohne Ich zu meinen: Das ist war stets Teil der Texte des inzwischen 55-Jährigen.

Sein Furor dagegen ist echt und konservativ bis spießig. Darin unterscheidet er sich von früheren Arbeiten. Beispielsweise behauptet Ellis einen ästhetischen Verfall, wie bei den „War against Terror“-Filmen der Oscarpreisträgerin Kathryn Bigelow, die er in seinen Tweets hart angegangen ist. So beschleicht einen die Vermutung, dass der einst coole Amerikaner zum verbitterten alten Mann mutiert ist.

Ob Elis tatsächlich verbittert ist, mag dahingestellt sein. Er ist auf jeden Fall ein Melancholiker, der die die veränderte Gegenwart mit seiner jugendlichen Vergangenheit abgleicht. In dieser Gegenwart mag er wenig Schönes, kaum etwas Verzauberndes oder Sinnvolles entdecken. Die Codes unserer Zeit kann Ellis nicht mehr adäquat entschlüsseln. Aus dieser Enttäuschung entsteht eine Verbitterung: „2015 fing ich an, in meinem Podcast über den Widerstreit zwischen Ideologie und Ästhetik in Kunst und Kultur zu reden, und wie zu dem Zeitpunkt offenbar Erstere über Letztere triumphierte, wenn man sich die Reaktionen der Medien und bestimmter Teile der Linken ansah. ‚Schaut auf die Kunst, nicht den Künstler.’“

Ellis Denken erscheint dennoch komplex strukturiert. Es macht sich nicht gemein mit den Wife-Beater-Weisheiten der amerikanischen Rechten. „Weiß“ erzählt aus einer teilweise schrullig wirkenden Sicht und mit galanter erzählerischer Geste. Es ist wirklich das: eine Erzählung. „Weiß“ ist keine Ich-Essay-Sammlung, kein autobiographischer Abriss. Es ein größtenteils unterhaltsamer Blick auf das amerikanische Leben, auf den immer weiter beschnittenen Hedonismus, auf die Differenz zwischen Koks-Pop der Achtziger und der vollkommen unironischen Donald-Trump-Gegenwart, in der es sich Menschen nicht mehr gut gehen lassen, sondern im Furor der neu-faschistischen Verwerfungen denunzieren, anpöbeln, auf die Nerven fallen. „Weiss“ ist ein Dokument der Jetzt-Zeit, und damit ist es zur richtigen Zeit am rechten Ort.

Bret Easton Ellis: „Weiß“, aus dem amerikanischen Englisch von Ingo Herzke, Kiepenheuer & Witsch, 320 Seiten, 20 Euro

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