Rezension: Buch der Karibik

Sieben Literaturauszeichnungen, darunter den renommierten Pulitzerpreis hat Junot Diaz für seinen Debütroman „Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao“ verliehen bekommen. Der 40-jährige Dominikaner ist der neue Shooting-Star in den USA.

„Mir fällt kein Roman in letzter Zeit ein, der diesem das Wasser reichen würde“, sagt Nick Hornby, der britische Autor von „High Fidelity“ und die New York Times schwärmt von einer „der unwiderstehlichsten Stimmen der Gegenwart.“ Ein 40-jähriger Creative Writing-Professor vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat die Quadratur des Kreises geschafft. Alle lieben ihn und sein Debüt, an dem er satte acht Jahre geschrieben hat. „Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao“ ist ein Roman über die Geschichte der dominikanischen Diktatur, ein Schicksalsbericht über Einwanderer in den USA, ein Schelmenstück mit dem dicksten Nerd seit der Premiere von „Big Momma‘s House“. Dieses Pulitzerpreis prämierte Meisterwerk besitzt eine innovative Sprachgewalt, die bereits mit der von Kanye West verglichen wurde, einem anderen, genre- und schichtübergreifenden Popkulturhelden unserer Gegenwart.

Der letzte Vergleich wirkt, im Gegensatz zu den vielen anderen, ein wenig an den Haaren herbeigezogen. In der Übersetzung von Eva Kemper ist, sieht man von ein paar Kraftausdrücken ab, kein HipHop-Einfluss nachweisbar. Das Buch wirkt eher wie die konsequente Fortsetzung von Diaz‘ fulminanten Short-Story-Band „Abtauchen“, der seine ersten Geschichten aus dem „New Yorker“ versammelt, jener Zeitschrift, die ihn seitdem zu den wichtigsten 20 Autoren des Landes zählt.

In „Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao“ berichtet ein Weggefährte ausschweifend vom verfluchten, vom absolut trostlos verpfuschten Dasein des kläglich scheiternden Helden, dessen Weg unterm bösen Eindruck des großen „fukú americanus“ steht. Über diesen „amerikanischen Fluch“ wird geflüstert, er sei mit den Schreien der Sklaven aus Afrika nach Amerika gereist, wo er seine unheilvolle Kraft rasant entfalten konnte. Selbst John F. Kennedys Ermordung wird diesem Spuk angelastet.

Während Oscars kraftstrotzenden Freunde – Einwanderer wie er – das dominikanische Macho-Ideal baseballspielender Mädchenaufreisser verkörpern, sehnt sich der Dicke unerlöst nach strammen Cheerleaderschenkeln, nach Küssen und zarten Streicheleinheiten. Statt Petting hält seine Welt in New Jersey lediglich Comicfluchten bereit, dazu ein bisschen Fantasy von J.R.R. Tolkien und Science-Fiction-Filme, die den Einwanderer schmachtend an seine Heimat denken lassen:

„Er war ein Hardcore-Fan von Science-Fiction und Fantasy und glaubte, in so einer Art von Geschichte würden wir leben. Er fragte mal: Was ist schon mehr Sci-Fi als Santo Domingo? Mehr Fantasy als die Antllen? – Aber weil ich weiß, wie alles ausgeht, muss ich fragen: Was ist schon mehr fukú?“ Ausgehend vom Großvater, der in der Dominikanischen Republik seine minderjährige Tochter vor dem lüsternen Diktator schützte und dafür mit seinem Leben bezahlte, wird die Geschichte des realitätsverwirrten Oscar Wao ausgebreitet, aufgerollt, beladen – und vor allem über die Bande anderer Figuren erzählt. Der titelgebende Held des Romans erscheint als ein schwarzes Loch, das man nicht sehen, aber durch Bewegungen seiner ihm nahestehenden Sterne und Planten bestimmen kann.

Oscar verknallt sich immer wieder in die falschen Frauen und legt sich dabei mit düsteren Nebenbuhlern an, deren Gefährlichkeit er dummerweise unterschätzt: „Unser Knabe war kein Ringgeist, aber er war auch kein Ork.“ Deshalb kommt es wie erwartet. Oscar landet in seinem Heimatland gleich mehrmals im Zuckerrohrfeld, wo er mit Genuss von seinen Feinden verdroschen wird; bis er stirbt, auf eine ebenso tragische wie slapstickartige Weise. Nachdem er seine Entführer angefleht hat, ihn, der so viel Liebe in sich trage, doch am Leben zu lassen, verschwinden deren Gesichter langsam in der Finsternis: „Hör zu, wir lassen dich laufen, wenn du uns sagst, was fuego übersetzt bedeutet.“ Oscar antwortet, wie aus der Pistole geschossen: „Feuer!“ Er konnte nicht anders.

Junot Diaz: „Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao“, aus dem Amerikanischen von Eva Kemper, S. Fischer, 380 Seiten, 19,95 Euro, Hörbuch: Argon, 6 CDs, 434 Minuten

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