Rezension: Nach Würzburger Schule

Als Bühnen-Duo werden Autor Finn-Ole Heinrich und Musiker Spaceman Spiff derzeit abgefeiert. Was ist an ihren Geschichten und Songs so besonders?

Der Tag ist so heiss wie der Kaffee durch die Pappe an seiner Hand, als der junge Mann am Bahnsteig steht und auf seine Mutter wartet. Während des Wartens erinnert er sich. „Alles in meiner Erinnerung glänzt“, denkt er und dass ihn diese „Hitze an das vergangene Jahr erinnert, als seine Mutter in seine Apathie platzte, ihn auch damals schon besuchte, nachdem er seinen Job im Baumarkt und auch sich selbst verloren hatte

Seine praktisch veranlagte Mutter trug damals passenderweise Funktionskleidung und Outdoorschuhe . Sie war zu ihm gereist, um den geliebten Familienhund beim Sterben zu begleiten. Der Erzähler mochte dieses Tier nie, weil es wie „ein Mitläufer, ein Soldat“ aussieht, weil ihm das Gehorchen eingebimbst worden ist, diesem dummen Tier – und mit diesem Einbimsen verbindet er wiederum eine schwere Zeit: Daheim. Zwischen drei Zeiten, der Gegenwart auf dem Bahnsteig, der nahen und der fernen Vergangenheit inszeniert Finn-Ole Heinrich hier allerhand Trostlosigkeit. Mutter, Sohn und Hund. Drama genug.

„Ich will Patty beerdigen und dann fahre ich los“, sagt die Mutter, morgen wird Patty sterben.Doch dann kann der Hund plötzlich wieder laufen. „Ganz erstaunlich, was für Kräfte der mobilisieren kann“.Der Sohn lernt, dass ein Körper nicht aufgibt, dass er kämpft. Doch sterben muss Patty, auf jeden Fall. Bedächtig werden Rasenstücke abgeteilt und ausgehoben, fürs baldige Grab. Und dann spielen Mutter und Sohn Sterbebegleiter, haben dabei: Becher, Plätzchen, Thermoskanne, sie warten, bis sich der Geist vom Hundekörper verabschiedet….

Dann ist ein Mitbewohner verschwunden. Vielleicht trinkt er Kokosmilch an einem Strand, wahrscheinlicher verwest er in einem Kanal. Seine Eltern kommen in die Wohnung, zum Erzähler und holen das Sofa ab. „Alles haben sie mitgenommen, nichts dagelassen – auch keine 40 Euro.“ Diese 40 Euro schuldet der Verschwundene seinem Mitbewohner noch: „40 Euro, wer ersetzt mir die? Wer ersetzt mir den Verlust?“

„Du drehst den Kopf, ich dreh den Kopf“, die Song-Lese-CD von Autor Finn-Ole Heinrich und Musiker Spaceman Spiff – auf der die Hunde- und die Mitbewohnergeschichte erzählt werden – gehört zu den rührendsten Momenten deutscher Gegenwartsliteratur – zwischen Tristesse und Tränen verhandelt das Künstlerduo hier einen gewaltigen Brocken Leben. Sie machen es auf musikalisch bewundernswerte Art und Weise.

Bereits mit dem „Bookends“-Vinyl-Sampler (Mit Songwritern wie Gisbert zu Knyphausen, ClickClickDecker und Jan Böttcher) würdigte der „mairisch Verlag“ eine „ganz besondere Form der Literatur“: Songtexte. Dazu schrieben die Verleger im Herbst 2010: „Seit vielen Jahren haben gerade deutschsprachige Liedtexte einen großen Einfluss auf junge Autoren und deren Schreiben – sie sind zu wahren Bookends (Buchstützen) geworden. Und auch den mairisch Verlag gäbe es nicht ohne die Liebe zur deutschsprachigen Musik.“ Deshalb war es konsequent, Spaceman Spiff neben diesem großartigen Leseprojekt auch eine eigene CD zu ermöglichen.

Auf dem Album „…und im fenster immer noch wetter“ singt Spaceman Spiff, der sich selbst zur „Würzburger Schule“ rechnet, über geborgten Mut und „Treibsandkästen der Jugend“. Erkenntnis: „ich wusste nicht, dass Freiheit so allein ist“. – Am besten beschreibt eigentlich die Techniker-Bühnenanweisung, was „Spaceman Spiff“ und Finn-Ole Heinrich machen: „Spaceman Spiff ist keine Rockband, sondern Singer/Songwriter. Wichtiger als hohe Lautstärke ist daher ein klarer, differenzierter Sound. Dies gilt sowohl für Finn-Ole Heinrich, als auch fürs Monitoring.“ Geringe Lautstärke, große Wirkung – das ist der bewundernswerte Effekt dieses künstlerischen Traumduos.

(Finn-Ole Heinrich & Spaceman Spiff: „Du drehst den Kopf, ich dreh den Kopf“, Mairisch, 1 CD, 76 Minuten)

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