Linkradar: #Reating, Meere, Der kleine Häwelmann

Seit über einem Jahr arbeite ich bereits als festangestellter Literaturredakteur beim Deutschlandfunk – und zirka 120 Sendungen später, von der Streitkultur über den Büchermarkt bis zum Studio LCB, dem Aufbau des Twitterkanals @DLFBuch, der Entwicklung neuer Formate wie den „Büchermarkt“-Specials zu Science Fiction, zum Krimi usw. usf. (nebenbei habe ich 16 Kilo abgenommen) darf der „Lesen mit Links“-Blog in neu-alter Gestaltung und mit dem Linkradar wieder aufleben. Das hier ist übrigens Ausgabe #90, nächsten Sonntag gibt es mehr. Euch viel Freude mit den schönsten Links der Woche – und abonniert diesen Blog (unten), wenn Ihr nichts mehr verpassen möchtet.

Meere: Alban Nikolai Herbst (Bild: Shasharad Lowan) erzählte hier im „Büchermarkt“, dass „Meere“, also jener Roman, der 2003 verboten wurde, wieder erscheinen darf, weil die Mutter seines Sohns die Klage zurückgezogen hat. Es ging im Gespräch auch um die Frage, wie weit eine Person in der Literatur verfremdet werden muss, damit es keine Probleme gibt. Seine Antwort: „Sie darf nicht wiedererkennbar sein, und dann ist die Frage, für wen. (…) Freunde werden sie, wenn Sie immer eine Person verstellen in einem Roman, werden diese Person immer erkennen oder glauben, sie zu erkennen. Auch das reicht schon.“

Mehr Meere: Doch genau das wollten die Kolleginnen von „Kultur heute“ genau wissen und fragten Rechtsanwalt Sven Krüger, der sowohl den „Esra“- als auch den „Meere“-Fall vertreten hat. Die Lage hat sich verändert, denn: „Die Grundsätze, die im Esra-Verfahren das Bundesverfassungsgericht Jahre später festgelegt hat, die gab’s noch nicht, als „Meere“ verboten wurde und ich halte es auch für höchst fraglich, ob dieses Verbot möglich gewesen wäre, wenn diese Regeln damals schon anzuwenden gewesen wären. Im „Esra“-Verfahren hat das Verfassungsgericht klipp und klar gesagt: „Die Erkennbarkeit einer natürlichen Person in einem Roman verletzt eben noch nicht die Rechte des erkennbar Gemachten, auch wenn es sich nicht um eine prominente Person handelt. Da muss eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung (vorliegen), die sich gerade nicht aus der Erkennbarkeit ergibt.“

Avenidas: Die beiden F.A.Z.-FeuilletonredakteuerInnen Sandra Kegel und Jan Wiele haben am 29. August mit diesem Interview die Debatte um Eugen Gomringers Gedicht „avenidas“ gestartet, das angebracht ist auf der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule (ASH) in Berlin und auf Initiative des AStA nun entfernt werden soll, weil es angeblich sexistisch ist. Vor wenigen Tagen hat die Prorektorin der ASH diese beachtenswerte Stellungnahme zum Fall veröffentlicht.

Themenwoche: Gut gemacht ist „Die Liebe zu den Büchern“ wo gerade eine Reihe zum „Bewussten und nachhaltigen Leben“ stattgefunden hat. Sehr schöne Vorstellung: „Ich bin Petzi [ausgesprochen: Peeetzi] aus der Nähe von München und liebe Bücher. Das mag blöd klingen, aber die Tatsache, dass es für fast alle Lebensbereiche auch das passende Buch gibt, gefällt mir. Ich lasse mich nicht nur von Büchern in andere Welten entführen und will Geschichten entdecken, ich will auch aus Büchern lernen und schöne Bücher genießen. Ich liebe Kochbücher ebenso, wie den Roman und komme an keinem Buchladen vorbei.“

Pausenbild

Es gibt einen neuen Trend – #Reating, die Verbindung von Lesen und Essen, von Reading and Eating, wie zum Beispiel hier bei Ocelot in Berlin.

Konsuminventur

Literatur in Zahlen: Die aktuelle Ausgabe (Heft 37, 14. September) vom Börsenblatt bringt Details über den Buchhandel: 155 Unternehmen haben dem Institut für Handelsforschung Auskunft erteilt. Die Einnahmen sind im Durchschnitt um 0,8 Prozent gestiegen. Die Einnahmen via Internet sind auf Vorjahresniveau (Amazon wurde augenscheinlich nicht befragt). 23 Prozent des Umsatzes werden mit belletristischen Büchern erwirtschaftet. 4,1 % der Kosten gehen für die Ladenmiete drauf. In Kleinbetrieben mit bis zu 3 Personen liegt der Umsatz je beschäftigter Person bei 178.838 Euro, bei 6-10 Personen sind es gut 22.000 Euro weniger.

Buch der Woche

Ein Hätschelkind: ist der kleine Häwelmann, von Theodor Storm, der vor wenigen Tagen seinen 200. Geburtstag hatte. Es ist die Geschichte vom kleinen Jungen, der in seinem Rollenbett von der Mutter hin- und hergefahren wird, wenn er nicht einschlafen kann. „Mehr, mehr!“ – ruft er immer zu. Und: „Ich will fahren!“ – Bis eines Nachts die Mutter eingeschlafen ist, dafür aber der Mond durch das Fenster schaut und einen Strahl ins Zimmer schickt, auf dem Häwelmann die Welt betreten kann. Aufgewachsen sind ganze Generationen mit den Bebilderungen von Else Wenz-Vietor aus dem Jahr 1926. bis 1995 das Bilderbuch der österreichischen Illustratorin Lisbeth Zwerger erschienen ist. Nun gibt es eine wunderbare Ausgabe mit Collagen der Wuppertalerin Ulrike Möltgen – hier vorgestellt von Ute Wegmann im Büchermarkt. (Der kleine Häwelmann / Theodor Storm: „Der kleine Häwelmann“, mit farbigen Illustrationen von Ulrike Möltgen, Insel, 47 Seiten, 13 Euro.)

Empfohlene Artikel

3 Kommentare

  1. Danke, das freut mich. Ich habe den Linkradar auch vermisst – viel Arbeit, viel Spaß. Ich musste nur erstmal das Büro einrichten und ein, zwei Bilder aufhängen. Jetzt ist ein wenig Zeit übrig (am Abend und am Wochenende).

  2. Oh, wie schön, dass der LinkRadar wieder zurück ist! Seit meiner ersten Begegnung mit diesem Format bin ich Fan davon, weil es so schön prägnant alles Wichtige aus der Literaturwelt zusammenträgt. Von daher war meine Freude groß, als mein Newsfeed-Reader seit langem mal wieder einen neuen Beitrag angezeigt hat.

  3. […] Was muss verändert werden, wenn man sich anlehnt an eine real lebende Figur in einem Text? Gibt es da bestimmte Grundsätze, die man einhalten muss als Schriftsteller? Es gibt keine Normen. Es gilt: Sie darf nicht wiedererkennbar sein, und dann ist die Frage, für wen. Allgemein wird gesagt, für die Öffentlichkeit. Nun ist die Heldin des Romans keine öffentliche Person. Entscheidend hier war, dass sie nicht wollte, dass ihre Verwandtschaft sie wiedererkennt, und das ist in der Tat ein Problem. Also Freunde werden sie, wenn Sie immer eine Person verstellen in einem Roman, werden diese Person immer erkennen oder glauben, sie zu erkennen. Auch das reicht schon. In dem Urteil zu „Meere“ gibt es den Satz, dass wenn jemand glaubt, dass er sie wiedererkennt, ist das schon ein Grund, um es zu verbieten, und das ist natürlich für Literatur haarsträubend. (*Hinweis: die Rechtsprechung hat sich inzwischen deutlich geändert – dazu mehr im Linkradar) […]

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.