German Fashion Design

Erst hat der Wuppertaler Werber Christian Boros das VIVA+ Logo entworfen. Nebenbei ist er in den 90ern bekannt geworden als Sammler großer Gegenwartskünstler. Dann zog er nach Berlin, baute einen Hochbunker zum Kunstmuseum um und gründete den Kunstbuchverlag „Distanz“

Wird Modedesignerin Jil Sander einmal die Position einer Coco Chanel einnehmen? Wie entwickelte sich die Berliner Mode-Subkultur in den 70er Jahren, als Iggy Pop und David Bowie zu Gast waren und die Klamotten daherkamen mit: „Flammenmustern, Spielkartenmotiven, spitzen Schuhen mit Pfennigabsätzen, plustrigen Pyjamahosen, Mohairpullis mit Lurexfäden, schmetterlingsförmigen Brillen“? Welcher Zusammenhang besteht zwischen extrem schlanken „Magermodels“ und androgynen Catwalk-Königen wie aktuell Andrej Pejic?

Diese Fragen diskutiert der Bildband „German Fashion Design 1946-2012“. Die Fotos aus 65 Jahren deutscher Modegeschichte kommen perfekt kalibriert daher, hochglänzend, umfassend ausgewählt, von F. C. Gundlach bis Wolfgang Tillmans: Schauspielerin Senta Berger Mitte der 60er absolut glamourös in Paris. Fußballgott Pele als PUMA-Werbeträger im 70er-Jahre-Dress, die eiskalte Kampagnen von Hugo Boss oder, in den 90ern: der Plastik-Neon-Look aus den Technoclubs.

Die Texte über Joop! und Boss, Mode-DJs und Clubwear, über Fashion-Blogs und Berlin-Hypes, Missy Elliot und Adidas erinnern streckenweise an Geschäftsberichte. Mehr Design, weniger Business wären cool. Aberder Überblick ist gewaltig: Angefangen nach dem 2. Weltkrieg Ende der 40er, als in Berlin die erste Mode aus alten Wehrmachtsuniformen, Gardinen und Fahnen geschneidert wurde.

Über: den Skilook von Bogner ab den 60ern bis zur hippen Berliner Modeszene 2011. Gleichzeitig fehlt, das hat mich schon fast schockiert: Chanel-Coutier Karl Lagerfeld, immerhin aus Hamburg stammend, der immer schon cooler war als die biederen Strenesse- und Escada-Kollektionen die man hier in diesem Band en masse sieht. Aber wenn Mode-DJ wie Klaus Stockhausen sich erinnert, wie er vor 25 Jahren brüllend vor Lachen Rechnungen schrieb mit: 900 Mark für 30 Minuten Laufsteg-Musik.

Alle Vogue-Leserinnen mit Geschichtsinteresse haben hier ihren Spass. Dann natürlich stolze Besitzer eines so genannten Coffee-Tables. Und für jeden, der sich in Sachen Business-Look weiterbilden will – zugreifen: denn „Business-Look“ ist schon ein Schwerpunkt des Buchs. – Vermutlich gehört’s ebenfalls auf die Rückbank eines jeden Mercedes. Die haben das Buch gesponsert und kommen zum Dank unverhältnismäßig oft vor inklusive eines peinlichen Interviews mit dem Marketingleiter der Stuttgarter Autofirma. Aber das sind Kleinigkeiten, denn: zum Schauen ist „German Fashion Design“ wirklich kurzweilig gestaltet.

„German Fashion Design 1946-2012“, Distanz, 320 Seiten, 44 Euro

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