”Ein Lied kann eine Mauer sein”, sang Rocko Schamoni vor einigen Jahren in Anlehnung an “Ein Lied kann eine Brücke sein”, Joy Flemings Kitschbeitrag zum Eurovision Song-Contest 1975. Der US-amerikanische Autor Paul Beatty hatte möglicherweise diese Geschichte im Kopf, als er “Slumberland” niederschrieb, diesen großartigen Roman über einen schwarzen Free-Jazz-DJ, der erst den perfekten Beat kreiert und dann von L.A. ins Berlin der Vorwendezeit reist, wo er das abgetauchte Jazz-Genie “der Schwa” vermutet, der seinen neuen Beat absegnen soll.
Während er sich in Berlin rumtreibt, lernt DJ Darky seine sexuelle Macht kennen, er verteufelt die Besserwessis, die ihm später das Revier streitig machen werden und er philosophiert mit Blixa Bargeld von den “Einstürzenden Neubauten” über Leni Riefenstahl und Martin Heidegger. Nebenbei bildet er sich eine Meinung über den Gangbang als wahrste Form des Existentialismus.
Als Linkshänder lernt DJ Darky, die Platten anders, als andere DJs zu bedienen, er driftet als “Anderer” die ganze Zeit zwischen Codes und abstrusen “Dekonstruktionen”, zwischen “Black & White”-Partys, Ost-West-Debatten und Mann-Frau-Kämpfen, bis ihm eine umwerfende, für die Wendezeit typische Kunst-Idee kommt: DJ Darky möchte die Mauer, den “antifaschistischen Schutzwall” als sogenannte “Klangmauer” auferstehen lassen, zusammen mit dem “Schwa” und seinen Free-Jazz-Freunden, die von ähnlich verschwurbeltem Documenta-Willen beseelt scheinen. Der New Yorker Paul Beatty lebte ein Jahr während seines Studiums in Berlin. Das “Slumberland”-Café existiert ebenfalls. Nur die Klangmauer, die ist, wie alles in diesem Roman, frei erfunden. Stattdessen hat damals ein Verpackungskünstler den Reichstag umwickelt. Als ob das weniger abstrus wäre. Lesen und kaputtlachen!
Paul Beatty: “Slumberland”, übersetzt von Robin Detje, Blumenbar, 320 Seiten, 19,90 Euro