Devil in Disguise

Fette Beute: Die schwergewichtige Antje reist ihrem großen Idol nach Graceland nach. Jana Scheerers „Mein innerer Elvis“ erzählt von Diätjoghurt, Elvis-Double und einer Urin sammelnden Kleinkindschwester.

Die 15-jährige Antje ist sich sicher, dass ausgerechnet Elvis Presley die beste Musik gemacht hat, „die ich in meinem ganzen Leben gehört habe.“ Viel haben die beiden gemeinsam. Sie spielen Gitarre, tragen „Hüftgold“ mit sich herum, sein Todestag ist ihr Geburtstag – und beide leben. Antje glaubt, dass Elvis seinen Totenschein selbst ausgefüllt hat und wegen seines Nebenjobs als „geheimer Agent der amerikanischen Kriminalbehörden“ in einen Mafiakrieg verwickelt wurde, aus dem er sich nur mit seinem Todes-Fake retten konnte. „In der Schule finden das auch alle bescheuert und fragen mich, ob ich in der Dose meine Schmalzstullen oder meine Schmalzschnulzen habe.“ Als ihr ebenfalls fettleibiger Vater, die als Paartherapeutin arbeitende Mutter und die sechsjährige Schwester Klara beschließen, gemeinsam nach Amerika zu fahren, steht das Ziel für Antje fest – sie will nach Graceland in Memphis/Tennessee, wo Elvis seine Villa bewohnte, wo er starb, vollgefressen, ein doppelter Schatten seiner glorreichen „Elvis the Pelvis“-Zeit. Doch die Restfamilie will unbedingt zu den Niagarafällen in entgegengesetzter Richtung.

Also haut Antje ab, gemeinsam mit Nelly, einer ehemaligen, nun in den USA lebenden Mitschülerin, die selbst ein bisschen durchgeknallt ist und glaubt, von einem Footballspieler geschwängert worden zu sein. Was dann passiert kann man nur unter dem schönen Begriff der „Screwball-Komödie“ fassen, also jene seit den 1940er Jahren beliebten Hollywood-Produktionen, in denen mit rasantem Tempo und hohem Wortwitz komplizierte Figuren aufeinanderprallen, um die abenteuerlichsten Sachen zu erleben. (Screwball heisst übersetzt: „Spinner“). Spinner gibt es genug in „Mein innerer Elvis“. Das fängt bei der sechsjährigen Schwester an, die ihren Urin in Marmeladengläsern sammelt, das geht weiter beim hysterischen Papa, der sich von der Mama Hörner aussetzen lässt und hört nicht auf bei Antje, die ihren Körper mit Filzstiftkreisen bemalt, um alle Stellen zu markieren, die entweder abgesaugt oder abtrainiert werden müssen.“ Dazu ist dieser Roman, den man reflexartig wieder „Roadmovie“ nennen möchte, obwohl es doch gar kein Film ist, ein „Parforceritt“ durch die Klischeestaaten, wie sie bereits von Fernsehsendungen wie „American Dad“ und „Family Guy“ repräsentiert wird.

Rückwärtsgewandte Amish-People treffen auf rückwärtsgewandte Kreationisten. In eisklimatisierten Mega-Malls wird Low-Fat-Joghurt mit extra viel Zucker verkauft, und ebenfalls nicht nach vorn schauende Elvis-Double archivieren einen längst untergegangenen „American Way of Life“. Das Ganze ist eine wunderbare Satire auf die USA der rauchenden Marlboro-Men, kriegseifernden George Bushs und rührigen Verschwörungstheoretiker; absichtlich überzeichnet, überdreht und vielleicht gerade deshalb so unglaublich lesenswert. Jana Scheerer wurde am 11. Januar 1978 in Bochum geboren und wuchs in Rastede (Ammerland) und in Bielefeld (der Heimat von Systemtheorie-Papst Niklas Luhmanns) auf. Nach ihrem Studium der Germanistik, Amerikanistik und Medienwissenschaft arbeitet sie nun als akademische Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Universität Potsdam. 2004 wurde sie für ihr erstes Buch „Mein Vater, sein Schwein und ich“ mit dem „Literaturpreis Prenzlauer Berg“ ausgezeichnet. Im gleichen Jahr veröffentlichte sie die Kurzgeschichte „Die Katze Muschi“ in „Das große Katzenlesebuch“. 2001 nahm sie teil an der Werkstatt für junge Autoren der Neuen Gesellschaft für Literatur in Berlin und war 2002 Stipendiatin der Autorenwerkstatt Prosa des Literarischen Colloquiums Berlin.

Jana Scheerer: „Mein innerer Elvis“, Schöffling, 248 Seiten, 17,95 Euro

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