Rezension: Die fetten Jahre sind vorbei

Peter Stamm gehört zu den wenigen Schweizer Schriftstellern, die in Deutschland mit ihren Büchern erfolgreich sind – weil er nicht von seinem Land, sondern von universellen Gefühlen berichtet. Als empfindsamer Beobachter hat sich der frühere „Swiss Air“-Betriebsbuchhalter mit seinen Romanen (u.a. „Agnes“) und Erzählbänden (u.a. „Blitzeis“) eine beachtliche Fangemeinde herangeschrieben.

Nach mehreren hundert ausverkauften Lesungen kann man sagen: Der Mann ist einer der wenigen literarischen Star de deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Jetzt erscheint „Sieben Jahre“, Peter Stamms dritter Roman, in dem es plötzlich weniger melancholisch und wesentlich turbulenter zugeht, als in den anderen Geschichten, katastrophisch für Schweizer, gemäßigt chaotisch für hiesige Verhältnisse. Dabei beginnt das große Drama im typischen Stamm-Tonfall mit dem schlichten Satz: „Sonja stand in der Mitte des hellerleuchteten Raumes, im Zentrum wie immer.“ Sonja ist Architektin, wie ihr Gatte Alex. Gemeinsam ziehen sie ihre 10-jährige Tochter Sophie auf, wie der Name schon sagt, ein geliebtes Kind, doch (hier beginnt das Chaos) ein nicht aus unbändiger Liebe entstandenes Mädchen.

Eher ist es wie in Goethes „Wahlverwandtschaften“ das lebendige Denkmal eines grandiosen Fehltritts, „Sieben Jahre“, das ist erst einmal der magische Wechsel im Alten Testament. Nach den sieben fetten Jahren folgen sieben magere und dieser Roman schwankt die ganze Zeit zwischen zwei Extremen hin und her, zwischen Erfolg und Misserfolg zum Beispiel (mit dem gemeinsamen Architekturbüro), zwischen der leuchtenden Sonja und der unattraktiven Iwona, einer Polin, mit der Alex irgendwann ein ebenso skurriles wie leidenschaftsvolles Verhältnis eingehen wird („Sie musste ungefähr in unserem Alter sein, aber sie war vollkommen reizlos.“), zwischen Rückblicken (in die Münchner Studentenzeit) und Gegenwart (das Ende der Ehe). Wie gesagt: Chaos. Aber geht das auf, dass auf einmal so viel passiert, auf so vielen Ebenen, ausgerechnet bei Peter Stamm, dem Chronisten des Stillen, Schweigsamen? – Es geht auf, so ungewohnt die neue Erzählperspektive, das bisweilen Grobe, Ungeschlachte auch sein mag, wie tief die Figuren diesmal auch gezwungen werden: „Sieben Jahre“ ist ein schönes Buch, wild wie der Herbst, der nach dreimal sieben sonnigen Wochen vor uns liegt.

Peter Stamm: „Sieben Jahre“, S. Fischer, 19 Euro

Bildcopyright: Stefania Samadelli

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