Gen-Scheren und Golden Shower, Kinky Bitches und Labor-Tierpflegerinnen crashen ineinander in den Lyrikbänden von Sophia Klink („Ich lösche die Kirschen aus meinen Genen“) und Verena Stauffer („Kiki Beach“), die hochinformiert, sich selbst kommentierend, der Gegenwart zu Leibe rücken. An diesem Montagnachmittag im Deutschlandfunk werden sie diskutiert: mit den beiden Kritikerinnen Maren Jäger und Beate Tröger, aufgezeichnet im Funkhaus Köln.
Für die 1993 in München geborene Biologin Sophia Klink ist 2025 doppeltes Debütjahr, mit dem Wissenschaftsroman „Kurilensee“ (im Herbst) und dem gerade erschienenen Lyrikband „Ich lösche die Kirschen aus meinen Genen“, der in biologisch informierter Fachsprache (seit Ulf Stolterfoths „fachsprachen I–IX“-Debüt 1998 bei Urs Engler en vogue) über Vererbungslehren und heikle Laborpraktiken spricht, über die Gewinnung von Kälberserum („du brauchst nur eine Nadel eine trächtige Kuh / das ungeborene Kalb noch halb warm“), über Dornröschen und Elternschaft („meinem Vater wächst eine Dorne aus dem kleinen Finger“), ebenso über die weiblich-körperlichen Herausforderungen in den Naturwissenschaften, wie in der beeindruckenden „Periode im Feld“-Aufzählung: „Just don’t look, sagt Gita auf dem Tauchboot.“ Klink schreibt Verse, Prosa-Miniaturen, es gibt ein Glossar (von „Äquationsteilung“ bis „Zygote“). Man denkt unweigerlich über andere Biologinnen und Biologen nach, die sich literarisch betätigten, an Goethe und seinen Chemie- und Vererbungsroman „Die Wahlverwandtschaften“ bis zur Biologin und Bestseller-Autorin Jasmin Schreiber („Marianengraben“). Klinks Band ist knapp, hochkonzentriert, erlaubt sich dennoch den sinnierenden Gestus, wie im „Zebrafische“-Stück, das im Labor Genetik mit Gen-Ethik verbindet: „Gehöre zu den Fischen, zum Glück. Nicht zu den Mäusen, den / Welpen in den Laboren unter mir. Ich könnte das nicht. Das / Streicheln von Mäusen, zuckerkrank. Einem Welpen auf die / Welt helfen, dem die Muskeln fehlen.“ Wir werden an die Hand genommen, selbst der rätselhafte Titel wird erläutert: „Labormäuse wurden experimentell auf den Geruch von Kirschen konditioniert, um epigenetische Vererbung von Traumata nachzuweisen“. Die Biologie lyrisch lesen bedeutet, das Fachwort „kleistogam“ nicht nur im Sinne der „Selbstbestäubung“ zu verstehen. Große Amsel-Poesie: „Es heißt einer Amsel / schlagen vier Stimmlippen im Hals / die einen öffnen sich / während die anderen sich schließen / das macht zwei Vögel in jedem Leib“ Sophia Klink: „Ich lösche die Kirschen aus meinen Genen“, Hochroth, München, 54 Seiten, 10 Euro
Golden Shower
Die Österreicherin Verena Stauffer debütierte vor elf Jahren ebenfalls bei Hochroth, und hat seitdem Prosa und Lyrik veröffentlicht, Preise gewonnen. Sie hat eine gewisse Wirkung entfaltet und ist 2025 eingeladen bei den Bachmanntagen im österreichischen Klagenfurt. Ihr „Kiki Beach“-Band verspricht „Liebesgedichte“, die wie ein Vinyl-Album angeordnet scheinen, mit poppigem Cover, Booklet und einem „Featuring“-Anhang, der Snippet-, Loops- und Beatbeiträger auflistet, von der dichtenden Chinesin Yi Lei über Dandy-Poet Oscar Wilde bis zum amerikanischen Rapper Travis Scott. Gemixt werden: Lyrik, Prosa, Fußnoten, die einzelne Poeme erklären – eine Art „Making-of“, das in seiner philologischen Akkuratesse verzichtbar erscheint, denn es enthüllt Geheimnisse. Hier wäre weniger: mehr gewesen. Motivisch zusammengehalten wird der Band von einem permanent sich wiederholten „Trick“ und von Ziegen, diesen Fruchtbarkeitstieren (siehe gleichsam in diesem Frühjahr: Hubert Winkels’ ziegenbegeistertes Buch „Hände zum Himmel“). Es gibt sogar einen Akt der Autorin, neben einer gehäuteten Ziege liegend (als limitierter Print für 230 Euro erhältlich) und: „Ein Wort steht auf wackeligen Beinen, wie die Ziege in den zerklüfteten, schroffen Felsen wanderte.“ Stauffer lässt ihre Worte ebenso trick-, wie ziegengleich klettern: „Von Phrygien nach Lydien“, durchs zypriotische Orangental, auf den Mond, ins Metavers(e), Unbekanntes ersehnend: „Wenn Entfernung oder Nähe nicht messbar sind / Nicht wissen, in welche Erde die Zehen sich graben / Nah? An welchem Ort, in welchem Zustand. Feucht?“ Rauschhaft kinky wird es: „Einer bisexuell, einer nicht“, mit Ejakulationen und geschwollenen Milchbrüsten: „Ich sage: Trink meine Milch, du liebst sie so sehr“, bis zur Pipi-Phantasie: „Give me the shower of your golden milk“. Die Worte stehen allerdings zu oft auf besagten wackeligen Beinen. Einige Stücke wirken überfrachtet, als ginge es weniger um Ziegen, mehr um Packesel. Absturzgefahr. Es kann, während der strauchelnden Lektüre durchaus geschehen: „Man fällt durchs Gedicht und schlägt sich die Nase blutig.“ Verena Stauffer: „Kiki Beach“, Kookbooks, Berlin, 72 Seiten, 24 Euro