Das Lyrikgespräch im Juni

„Teilbar durch sich selbst und eins“ sind die neuen Gedichte von Kae Tempest –Queerness-Feier und intime Innenschau toxischer Beziehungen mit mythologischen Anleihen. „Frieden ohne Krieg“ wünscht sich hingegen Yevgeniy Breyger, 1989 im lang umkämpften Charkiw geboren – die Bände der des DLF-Lyrikgesprächs im Monat Juni. Gäste sind in der heutigen Büchermarkt-SENDUNG: Beate Tröger und Christian Metz.

In Yevgeniy Breygers Band bricht der Krieg direkt zu Beginn aus. Charkiw soll evakuiert werden, allerdings nicht vor den Russen: „die deutschen kommen, Вася verrät sie und sie kommt nach Бабин Яр / mit den anderen jüd*innen, jaja, alte und junge“. Es folgt ein kurzer, schnoddriger Abriss seiner Familiengeschichte vom Holocaust bis zum russischen Überfall 2022: „dann kommts aus mir raus: ‚das hat mich grad wirklich gefickt’ / und was ist das für eine sprache? ich sag nie sowas! klingt das echt?“ Was ist das für eine Sprache, die schier auseinanderbricht angesichts des Monströsen? „Frieden ohne Krieg“, ein Titel, der an „Die Bitten der Kinder“ von Bertold Brecht erinnert, der 1951 schrieb: „Die Häuser sollen nicht brennen. / Bomber sollt man nicht kennen. / Die Nacht soll für den Schlaf sein. / Leben soll keine Straf sein.“

Eine Strafe ist der Krieg noch fern der umkämpften Heimat: „seit 2015 mit den syrer*innen ganz normal / oh, du warst ärztin? mach erstma putzkraft. oh du has wasserturbinen entworfen / mach ersma klokasse bei mcdonalds“ Eine Wut ist in diesen Zeilen spürbar. Die Deutschen werden als „das hässlichste volk“ beschimpft, Alexander Kluge als Russlandversteher und „literaturkritiker*innen verstehen grundsätzlich von allem hart wenig“.

Dass russische Künstlerinnen und Künstler hierzulande auftreten, dass sie geehrt werden, ist diesem Ich unerträglich, das irgendwann den Leserinnen und Leser entgegenwirft: „wirklich, schäm dich. du weißt, dass du gemeint bist“ Es sind offensichtliche Übertragungen eines traumatisierten Ichs, dem selbst das eigene Schreiben falsch erscheint. Eigentlich sollte ein ganz anderes Buch entstehen. Doch dieses erscheint dem Ich falsch. Es schreibt stattdessen „Frieden ohne Krieg“, während in die Heimat bombardiert und mit der Sprache (dem Material des Dichters) eine Tochter beschriftet wird: „ZUR IDENTIFIZIERUNG MIT NAMEN, GEBURTSDATUM, TELEFONNUMMER UND KONTAKTADRESSE“. Dieses Buch ist der Verzweiflung abgerungen, denn: „* Nach dieser Zeile bricht der Krieg aus“.

Divisible by Itself and One

Für die Unterstützung der BDS-Bewegung, die den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will, bekam Kae Tempest heftigen Gegenwind. Respekt wird der britischen Rapper:in und Lyriker:in hingegen gezollt für ihr souveränes Outing als non-binäre Person – deshalb der neue Name „Kae“, irgendwo zwischen Kate und Kay stehend. „Auf einer Skala von Halt’s-nicht-aus bis Pride / bin ich mehr proud als früher“, schreibt Tempest im neuen Band, der Poetry Slam, Aphorismen, Konkrete Poesie und Prosa-Miniaturen collagiert. Tiresias eröffnet eine „Sequenz“, der mythologische Seher, der einst in eine Frau verwandelt wurde, dann wieder zum Mann geworden, am Ende erblindet ist: „Sie stockt vor der Tür / Schaut auf zu einem Mond, den sie nicht sehen kann. Ihre Augen / Saure Milch. Die guten Zeiten klammern sich an ihre Schultern.“

Auch Tempest hat das Vergangene losgelassen und fragt nach der Qualität des neuen (non-binären Lebens), vergleicht sich immer wieder mit Vögeln: „Bin wach seit vier, pick am falschen Wort lang.“ Vögel können non-binär sein, auch die wilde Natur kennt mehr als das Männliche und das Weibliche. Unterm Titel „Flood“ reimt sich „hope“ auf „float“, allerdings nicht in der Übersetzung, die teilweise weniger galante Lösungen findet und zudem – vermutlich abgesprochen mit Tempest – häufiger gendert als das Original (aus „painter“ wird „Malende“, aus „friends“ wird „Freund:innen“). Das geht im Metrum nicht immer so recht auf.

Dennoch: Ein Band, der moderne Beziehungskonstrukte, Queerness, Partys und toxische Verhältnisse vorstellt: „Wie sie ihn sah, war er ihrer, ihn zu hassen. (…) Sie mochte es, wenn’s weh tat. Mochte gemein spielen.“ Am Ende kommt der mehrseitige „Lovesong für Queens, Studs, Butches, Daddies, Fags und all die anderen Engel“ – Hate Speech gegen den eigenen Körper, die zur Hymne wird: „My people. My beautiful people. My beautiful trans people, / natural as life. / I’m so sorry I was not in your love sooner.“

Yevgeniy Breyger: „Frieden ohne Krieg“, kookbooks, 80 Seiten, 24 Euro / Kae Tempest: „Divisible by Itself and One. Teilbar durch sich selbst und eins“ (zweisprachig), aus dem Englischen von Rike Scheffler, Suhrkamp, 140 Seiten, 15 Euro

Zum Nachhören: Büchermarkt 06.06.2023, Lyrik-Kritikergespräch über Kae Tempest + Yevgeniy Breyger

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