Eine neue Stimme aus dem weniger verrückten Teil Nordamerikas ist nun auch hierzulande hörbar: „Wenn alle Deine Freunde vom Felsen springen“ der Kanadierin Eva H.D. – und anlässlich des posthum zu begehenden 100. Geburtstages von Mikis Theodorakis erscheint ein Sammelband all seiner Gedichte erstmalig in deutscher Übersetzung: besprochen im Deutschlandfunk von meinen Gästen Beate Tröger und Alexandru Bulucz. Der Band von Theodorakis ist bis zur heutigen Sendung nur als PDF bei mir angekommen, die zerstörte Eva H.D. hatte ich intakt nach Klagenfurt mitgenommen: dann fiel sie leider, leider in den großen Wörthersee.
„Wenn alle deine Freunde vom Felsen springen“ heißt dieser coole Band der Kanadierin Eva H.D., eine Kompilation gleich dreier Veröffentlichungen, die im englischen Original erschienen, und im angelsächsischen Raum überaus lobend besprochen worden sind. Nicht einmal den Nachnamen kennen wir von Eva H.D., deren Intialen auf Hilda Doolittle verweisen, die sich ebenfalls H.D. nannte, von 1886 bis 1961 lebte und die vom großen Ezra Pound gefördert wurde. Was hier wie hingeworfen wirkt, wie Beat Poetry, wie Blues-Lyrics, was nach Highway und Bible Belt klingt, ist vor allem: Lyrik, die stets das kaum beschreibbare Gefühl in prägnante Worte fassend: „Heute bin ich ein einsames Fenster auf einer Veranda in Pasadena“ ist so ein Vers, oder: „Ich will Mücken an die Windschutzscheibe sticken, / jede Reklametafel mit ‚Gott’ unterschreiben“ als Beschreibung des herrlichen Aufbruchs. Diese herrliche Unmittelbarkeit: „Du kannst immer so weitermachen mit diesem Teeniekram. / Kannst auf der Straße hocken in der perfekten Sommernacht / und dir anhören, wie ein verheirateter Mann auf das Gefängnis schimpft, / das er sich selbst errichtet hat. Auf derselben Straße hast du mit / fünfzehn gehockt, geraucht und dir angehört, wie ein Junge / vom Zorn seines Vaters spricht, von blauen Flecken, dem einsamen / Warum. Sie könnten derselbe sein. Der Mann schon jetzt / voll Eifersucht auf seinen kleinen Sohn; der Junge, der sich vorm / Vater wegduckt. Es könnte dieselbe Nacht sein – die Schwüle / im Juni, sich danach sehnen, ein schönes Gesicht zu berühren / mit deinem räudigen, perfekten Mund.“ Man möchte nun alle drei Bände lesen – und es ist ein großes Verdienst, dass alle Gedichte dieses Bandes auch im Original abgedruckt werden. Es fehlt allein ein Nachwort, dann wäre „Wenn alle Deine Freunde vom Felsen springen“ der perfekte Band für diese verregneten Sommermonate, die sich doch ebenfalls nach himmelhochjauchzenden Gefühlen sehnen. Eva H.D.: „Wenn alle deine Freunde vom Felsen springen“. aus dem Englischen von Anne-Kristin Mittag und Steffen Popp, Hanser, München, 126 Seiten, 24 Euro
Ausgebreitet die Flügel
Roger Willemsen brachte es einst auf den prägnanten Begriff: „Europa hatte keinen Che Guevara, es hatte Mikis Theodorakis.“ Der Dichter, Musiker, Komponist, Politiker, Widerstandskämpfer und große Humanist ist ein Gigant Griechenlands. In diesem Jahr hätte der stämmige Nationalheld seinen 100. Geburtstag gefeiert. Als er 2021 starb, spielten alle Radiosender 24 Stunden lang ausschließlich Theodorakis Lieder. Unsterblich wurde er mit seinem „Sirtaki“ aus dem epochemachenden Kinofilm „Alexis Sorbas“. Jetzt erscheint erstmalig ein Band aller Gedichte Theodorakis auf Deutsch unter dem Titel „Paradiesische Höllen“, darunter die „Lieder für Andreas“, wie „Du bist Grieche“, eine Betrachtung des griechischen Nationalwesens an sich: „Das, was du einmal warst, wirst du wieder sein. / Du musst es werden. Du musst weinen, / erfahren, was das ist: totale Erniedrigung, / das Ausmaß der Unterwerfung erfahren, / die sich weithin erstreckt, / bis dort, bis an den Rand der Berge. / Du bist Grieche. Grieche bist du. / Du trinkst den Verrat mit der Milch. / Du trinkst den Verrat mit dem Wein. / Die Erniedrigung musst du gänzlich erfahren, / musst sie klar erkennen, musst wieder werden, / was du einmal warst, wieder werden wirst.“ Hier ist bereits ein zentrales Motiv in Theodorakis’ Denken erkennbar, das von dem Pflichtgefühl durchwirkt ist „für sein Land zu leiden“ (gleich zweimal wurde Theodorakis lebendig begraben – kaum vorstellbar, wie er nach einer derartigen Erfahrung weiterhin positiv in die Welt blicken konnte). Vielleicht war es sein unglaublicher Erfolg, der ihn tröstete, ganz bestimmt war es seine tiefe Verwurzelung im Archaischen: „Ich hab dir nichts mehr zu geben. / Selbst, wenn ich ins Gefängnis ginge. / Ausgebreitet die beiden Flügel meines Denkens / – gleich einem Falken, der segelt über karger Landschaft.“ Kein leicht zugänglicher, doch für Fans von Theodorakis unverzichtbarer Band aus dem kleinen Axel-Dielmann-Verlag. Mikis Theodorakis: „Paradiesische Höllen: Die Gedichte & Lieder“, herausgegeben von Raphael Irmer, aus dem Griechischen von Asteris und Ina Kutulas, Vorwort: Konstantin Wecker, Axel Dielmann 176 Seiten, 26 Euro
Das Lyrikgespräch vom 28.07.2025 kann hier angehört werden