Rezension: Autumn leaves

Henning Mankell veröffentlicht einen beinahe neuen Fall für Kurt Wallander: „Mord im Herbst“ ist 2004 in einer holländischen Übersetzung erschienen und wurde 2012 als „An Event in Autumn“ mit Kenneth Branagh („Thor“, „Harry Potter“) verfilmt. Nun startet der Kurzkrimi in Deutschland und ist für eine Überraschung gut.

Der schwedische Kommissar Kurt Wallander bleibt ein Melancholiker vorm Herrn. Bereits auf den ersten Seiten des gerade erschienenen Kriminalromans ist er müde, will seine Ruhe haben, am liebsten aussteigen: „Ich werde allmählich sogar zu alt für mich selbst. Zu alt für mich selbst und zu alt für meinen Beruf.“ Sein Vater ist tot (das 2002 spielende Buch ist innerhalb der Wallander-Reihe zwischen „Vor dem Frost“ und „Der Feind im Schatten“ sortiert) und dass seine nachwievor bei ihm wohnende Tochter Linda nun ebenfalls bei der Polizei in Ystad arbeitet, gefällt ihm nicht. Doch ausgerechnet im Garten des Hauses, in dem er sich zur Ruhe setzen will, taucht ein Skelett auf und Wallander sieht sich genötigt, einen sechzig Jahre zurückliegenden Mordfall aufzuklären, der hier aber nur als Folie dient, um Niedergeschlagenheit zu transportieren: „Wallander dachte, dass nichts ihn so deprimieren konnte wie der Anblick alter Brillen, nach denen niemand mehr fragte.“ Ob es eine gute Idee des Zsolnay-Verlages ist, dieses nebelig-trübe Buch ausgerechnet im November zu veröffentlichen?

Die Geschichte ist rasch umrissen und steuert ebenso schnell auf ihren Höhepunkt zu. Nicht viel mehr als 100 Druckseiten hat „Mord im Herbst“, eine Auftragsarbeit, die Henning Mankell 2004 geschrieben hat für eine Krimiwoche des „spannenden Buchs“ in den Niederlanden. Selbst in Schweden, Henning Mankells Heimat, ist „Mord im Herbst“ erst dieses Jahr erschienen. Es ist ein guter, ein dicht konstruierter Roman, der sich abhebt von den ellenlangen, atmosphärisch ausschweifenden Wallander-Bestsellern der 1990er und 2000er Jahre.

Oft waren Mankells Fälle derart sozialkritisch aufgeladen, dass man Wallander ebenso gut mit einem der Tatort-Kommissare aus Köln hätte austauschen oder besetzen können (im Fernsehen wurde der Kommissar dann in gleich drei Serien verkörpert von Krister Henriksson, Rolf Lassgård und Kenneth Branagh. „Mord im Herbst“ hat nichts von der Sozialkritik der übrigen Bücher, kann es aber stattdessen mit den fantastischen „norwegischen Krimis“ von Jan Costin Wagner aufnehmen. Gleichzeitig scheint sich diese Art zu Schreiben mit seinem ursprünglichen Vorhaben zu decken:

„Als ich überlegte, wie ich Mörder ohne Gesicht schreiben sollte, merkte ich, dass die besten und elementarsten ,Kriminalgeschichten‘ die ich mir vorstellen konnte, das klassische griechische Drama ist“, erinnert sich Henning Mankell im Nachwort von „Mord im Herbst“ an die Anfänge seiner Krimiautorenschaft (dass sich zehnmal mehr lohnt als die eklektische, misslungene Biographie „Mankell über Mankell“ von Kirsten Jacobsen, in der sogar Horst Köhler seine Meinung über den Wallander-Erfinder ausbreiten darf). „Diese Tradition ist mehr als zweitausend Jahre alt. Ein Stück wie Medea, das von einer Frau handelt, die ihre Kinder tötet, weil sie eifersüchtig auf ihren Mann ist, zeigt den Menschen im Spiegel des Verbrechens.“ – Mankell als Minimalist, Mankell als Literat, das ist überraschend und zwar auch hier nicht literaturnobelpreiswürdig, aber doch auf angenehme Weise zurückhaltend und gelungen.

Henning Mankell: „Mord im Herbst“, übersetzt von Wolfgang Butt, Zsolnay 144 Seiten, 15,90 Euro / die vollständige Lesung von Axel Milberg erscheint bei „der Hörverlag“, 190 Minuten, 3 CDs

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