Rezension: Die Anti-Paradiso-Hölle

Leif Randt hat mit seinem zweiten Roman „Schimmernder Dunst über CobyCounty“ die Literaturszene in Aufruhr gebracht. Endlich ein Hipster-Roman aus Berlin, der nicht am Prenzlauer Berg spielt, der ohne Techno, White Trash und Berghain auskommt.

„Schimmernder Dunst über CobyCounty“ ist der vermutlich meistgelobte junge Roman des Jahres 2011. Die FAZ nennt die zweite Veröffentlichung von Leif Randt „schmal, klug, hellwach“. Deutschlandradio Kultur sagt: „Aufregend!“, der Musikexpress: „ganz schön berührend“ und „Die Zeit“ adelt den 28-Jährigen mit den Worten: „Schimmernder Dunst über CobyCounty ist das dystopische Bild einer Gesellschaft, in der sich die vermeintliche Freiheit der Easy-Jet-Generation zur hyperreflektierten und durchästhetisierten Unfreiheit verkehrt hat.“ Preise, die Leif Randt unter anderem gewann: KulturSPIEGEL-Nachwuchsautor des Jahres, MDR-Literaturpreis, Nicolas-Born-Debütpreis.

Dabei klingt der Roman auf den ersten (Klappentext-)Blick vollkommen unspektakulär: „Bald wird es Frühling. Wim Endersson, Literaturagent und Melancholiker, fiebert der neuen Jahreszeit genauso entgegen wie alle anderen Bewohner von CobyCounty. Sie warten auf die schönsten Touristen der Welt. Jedes Jahr strömen begabte Menschen aus allen Nationen in den berühmten Ort am Meer, um sich im milden Sonnenschein selbst zu feiern. Wim und sein bester Freund Wesley haben noch nie woanders gelebt, sie studierten an der School of Arts and Economics und erinnern sich gern an die sinnlichen Knutschszenen, tragischen Trennungen und ausschweifenden Tanzpartys ihrer Vergangenheit. Doch als plötzlich, kurz vor Anbruch des Frühlings, Wesley die Stadt in panischer Furcht verlässt, droht sich CobyCounty für immer zu verändern.“

Was ist also das Ereignis? Leif Randt erzählt von einem fiktiven Urlaubsort (CobyCounty), von oberflächlichen Bewohnern (Wims Mutter ist mit einem geschmacklosen Hotelier liiert), von Parties mit Cocktailgetränken und von dem seltsamen Gefühl aller Beteiligten, dass dieses Sonnen beschienene Leben ein Ende haben könnte, rein theoretisch. Aber solche Geschichten erzählen sich die Bewohner von CobyCounty eigentlich nur zur Unterhaltung. Langeweile führt zu Pseudo-Angst, führt wieder zu Langeweile.

Das Ereignis aber sind die Unterhaltungen, die wirken wie Zitate aus modernen Filmen, Artikeln, Büchern, von Flyern und Fassaden notiert. Denn Wim, der Literaturagent, vermittelt nicht nur Texte. Er lebt in Texten und sagt zu seiner Freundin Carla pseudo-clevere Sachen der Art: „Heute wohnen wir in einen utopischen Sexraum“. Wenn sie wiederum vorschlägt: „Lass uns doch heute mal so einen Tag machen, an dem wir alles so meinen, wie wir es sagen“, antwortet Wim: „So einen Tag haben wir aber noch nie gemacht.“

Als sich Carla dann von Wim trennt, tröstet die Mutter mit Baukastensätzen, die erst unterkühlt, am Ende einfach nur irrekomisch klingen: „Kurz hat es mich traurig gestimmt, dass ich von Tom erfahren musste, dass du und Carla auseinandergegangen seid. Aber dann habe ich es verstanden. Denk nicht in schwerwiegenden Kategorien. Du bist jung und mit der Zeit können sich alle Emotionen drehen. Genieße den Frühling. Es umarmt dich: deine Mum.“ Das Buch ist randvoll mir diesen absurden Dialogfetzen. Es ist wirkt absolut gaga und gleichzeitig wahr. Es wirkt wie erfunden. Und doch kennt man diese Sätze von irgendwoher.

2009 debütierte Thomas Klupp, einer der besten Freunde von Leif Randt, mit „Paradiso“ – einer Geschichte, die ebenfalls von einer Art „Garten Eden“ erzählt, der dann aber doch die Hölle ist. Auch hier überschlug sich die Literaturkritik: „Todkomisches Roadmovie“ (Neon), „ein Meister der schnell zu entdeckenden literarischen Referenz“ (Süddeutsche Zeitung), „Geheimtipp“ (Die Zeit), „gefährlich gut“ (1LIVE).  Thomas und Leif haben gemeinsam „Kreatives Schreiben“ in Hildesheim studiert. Sie erscheinen im gleichen Verlag. Sie werden gehypt. Sie spielen mit Gegensätzen, mit scheinbar bekannten Zitaten aus der Popkultur.

Beim Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt 2011 sind sie ebenfalls angetreten. Leif Randt hat einen Ausschnitt aus Roman Nummer Zwei, Thomas Klupp  einen (streckenweise pornographischen) Ausschnitt aus seinem zweiten Buch gelesen, das 2012 erscheinen soll. Leif Randt gewann in Österreich den Ernst-Willner-Preis, Thomas Klupp den Villi-Publikumspreis. Interessante Wahlverwandtschaft. Für beide gilt: Retro ist das Neue, bzw. das exakte Gegenteil. Was sind das nur für coole Jungs? Da kommt was nach, bestimmt. Bis dahin gilt: Leif Randt zu lesen fühlt sich an wie ein Besuch im Spiegelkabinett, was irgendwie auch oldschool klingt. Wer geht denn heute noch ins Spiegelkabinett?

 Leif Randt: „Schimmernder Dunst über CobyCounty“, Berlin Verlag, 192 Seiten, 18,90 Euro

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