Trost. Vier Übungen

Entlang von Raymond Carvers klugen Gedanken über das Essen in schwierigen Zeiten und Mark Greifs „Rappen lernen“, von David Foster Wallace‘ Gesamtwerk und Frank Witzels „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ sucht Hanna Engelmeier, wissenschaftliche Mitarbeiterin am kulturwissenschaftlichen Institut in Essen, nach Trost unter anderem im „Zusammenfall von Schreiben, Hören, Beten, Lesen“.

Vom „Trost runder Dinge“ berichtete bereits der diesjährige Büchner-Preisträger Clemens J. Setz. Vom Trost beim Lesen, Schreiben, Beten, Philosophieren erzählt nun Hanna Engelmeier in „Trost. Vier Übungen“, einem popkulturell inspirierten Essay, der fragt, wie David Foster Wallace Trost im Scheitern eigener Texte fand („denn ein Text, an dessen Abschluss der Autor versagt, ist ein unfertiger Text, und ein unfertiger Text erfordert einen neuen, der den Trost bereithält, vielleicht besser als der vorangegangene zu werden“) – um wenig später eindringlich zu zeigen, warum dieser Trost allein ihn nicht dazu bringen konnte, weiterzuleben.

Es geht sowohl um gelungene, als auch um gescheiterte Versuche, sich selbst zu trösten, den Trost zu suchen, Trost zu geben, es wird gezeigt warum es manchmal nicht reicht, wie Louis Althusser auf die Knie zu gehen und zu beten, um glauben zu können, aber warum ebenfalls möglich ist, „dass das Bibelstudium auch deshalb tröstlich sein kann, weil aus manchen überzeitlich einleuchtenden Sätzen so wenig folgt, und gerade da mag sie als Wahrheit auszeichnen.“ – Bei Engelmeier geht es um Achtsamkeit und um kindlichen Glauben, um Beschwörungsformeln und um den intellektuellen Trost beim Lesen von Adornos „Minima Moralia“, weil man hier und da die Gewissheit spürt, nicht allein im Recht zu sein. „Wenn man aus irgendeinem Grund nicht ruhig und der Geist nicht bei der Sache ist“, wird Emmanuel Carrère an einer Stelle zitiert, „dann beobachtet man seine Unruhe oder seine Langeweile oder seine Lust, sich zu bewegen, und indem man beobachtet, rückt man sie in die Ferne und ist ein bisschen weniger gefangen.“

Auf den letzten vier Seiten beschreibt Engelmeier einen winselnden Dackel, der verzweifelt vorm Kiosk angeleint ist, ein hilfloses Tier, das aber hochspringt, als es sein Herrchen wiedersieht. Dieser Dackel weiß nichts von unseren allzumenschlichen Versuchen, Trost zu finden, Trost zu schürfen, nichts von jener goldenen Voyager-Schallplatte, die an Bord der beiden 1977 gestarteten interstellaren Raumsonden „Voyager 1“ und „Voyager 2“ angebracht sind, unter anderem gefüllt mit Grußbotschaften, Bildern, mit dem Ersten Satz von Johann Sebastian Bachs „2. Brandenburgischen Klavierkonzert“ und Chuck Berrys Rock-’n’-Roll-Stück „Johnny B. Goode“.

Und so wie wir uns zu trösten versuchen mit der Hoffnung, irgendwann würden Außerirdische diese Schallplatten finden, entschlüsseln, also von der menschlichen Existenz erfahren, so können wir uns beim Lesen dieses Buchs für einen Augenblick beruhigen in einer Zeit, die religiösen Ritualen, Wiegeliedern oder kulturkapitalistischen Versprechen natürlicherweise misstraut. Deshalb braucht es echte Gefährten der Trostlosigkeit. Dieser Gefährte kann der klug mäandernde, enthusiastische Essay von Hanna Engelmeier sein, die nach eigenen Angaben selbst im „Zusammenfall von Schreiben, Hören, Beten, Lesen“ ihren Trost gefunden hat.

Hanna Engelmeier: „Trost. Vier Übungen“, Matthes & Seitz, Berlin, 202 Seiten, 20 Euro

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