Wieviel Drama passt in 3 Wochen? Martin Mandler schreibt mit seinem Debütroman „23 Tage“ über eine große Sehnsucht, die sich in allerkürzester Zeit verwandelt – in rasende Eifersucht.
Der junge Mann, Typ gebildeter Mitteleuropäer, ist von seiner Freundin Laura für 23 Tage verlassen worden. Die ebenfalls junge Akademikerin muss für kurze Zeit in London arbeiten. Eigentlich kein Drama. Doch: „Sie hat sich noch einmal umgedreht. Laura hat sich noch einmal umgedreht. Aber nicht nach mir, denke ich. Nicht um zu sehen, ob ich noch da war. Ob ich auch heute warten würde, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwindet. Sie hat sich bloß umgedreht, denke ich, Laura hat sich bloß umgedreht, weil eine kleine schwarzhaarige Dame sie mit ihrem riesigen Rollkoffer beinahe umgefahren hat.“
So unspektakulär beginnt „23 Tage“, der erste Roman des Wahl-Eiflers Martin Mandler. Für den Leser ist diese Abschiedsszene zwar rührend, aber auf der nach oben offenen „Vom Winde verweht“-Skala eher eine schwache 2 bis 3 – dieses Leid doch eigentlich; nicht der Rede wert. Doch der verlassene Held leidet – bis aufs Blut. „Und ich weiß, ich werde warten müssen. Nicht auf Laura. Sondern darauf, dass diese Leere vergeht. Man sagt, das dauert halb so lang wie die Liebe.“ So klingt Lamento. Dabei sollte er sich um einen anständigen Job kümmern und nicht den Haushalt verkommen, nicht die Post ungeöffnet herumliegen lassen. Er ist erwachsen, müsste sich eigentlich den Problemen stellen, und haut stattdessen ab.
Erst Ost, dann West
Erstmal geht es dorthin, wohin bereits in den 1980er Jahren junge Männer geflohen sind (wenn auch vor der Bundeswehr) – nach Berlin. Und weil unser Weichei sowieso schnell überfordert ist, verwirrt ihn die Hauptstadt kolossal. Also malt er sich aus, Laura würde ihn betrügen. Der Nebenbuhler heisst „Brad“, wohnt auf einem Themse-Hausboot und hat noch allerlei anderer Casanova-Qualitäten, die Frauen scheinbar dahinschmelzen lassen. Also reist der Eifersüchtige von Berlin nach Calais, um überzusetzen, Richtung Großbritannien. Das ist mehr als Sehnsucht. Das ist Wahnsinn. Das ist irr. Und es ist der Beweis, dass dieser Mann unfähig ist, seine Leidenschaften zu zügeln. Er kommt daher als kleines Kind, das weint, sobald der Schnuller hinabgefallen ist. Seine beruflichen Probleme lösen sich durchs Weglaufen und Weinen nicht. Er müsste es wissen: Eine Beziehung wackelt, wenn Misstrauen das längst bröckelnde Fundament bildet.
Der Anti-Luther
Genug der Strenge! „23 Tage“ ist nicht nur eine Story über finanzielle Zwänge der 2011er Jungakademikerschicht. Sie handelt auch von der Unfähigkeit, mit Allein-Sein und Melancholie klar zu kommen. Sobald kein Liebes-Partner die eigenen narzisstischen Bestätigungsbedürfnisse erfüllt, kippt der Alltag, einfach so. In 23 Tage führt Langeweile zum Lifestyle-Wahnsinn. Der wehleidigen, nur noch vermeintlichenBildungselite hat Martin Mandler dieses beobachtungsscharfe, untergründig nervöse Debüt zugeeignet. Schwacher Held. Starker Autor. Gutes Gespann.
Martin Mandler: „23 Tage“, Luftschacht, 146 Seiten, 18,50 Euro / das Beitragsbild ist von Martin Mandler
