Rezension: Kasperls Tod

Der erste Sex endet mit einer Schleife am Geschlecht, sein letzter Auftritt als Apfelbaum mit einem Hänger im Kopf. Robert Seethalers Romanheld weiss: „Jetzt wirds ernst“ – aber das betrübt ihn nicht.

„Du kannst nicht gehen. Du kannst nicht stehen. Du kannst nicht sprechen. Und du hast unser Bühnenbild ruiniert.“ Die Manöverkritik zum ersten Vorsprechen kommt scheinbar vernichtend daher: „Aber du bist lustig.“ Das reicht, damit ein 16-jähriger Schüler aus der Provinz im Kellerloch-Theater anfangen kann. „Wir können hier ein bisschen Hilfe gebrauchen. Putzen, schrubben, schrauben, Karten abreißen, kaputte Bühnenbilder reparieren und so weiter. Wenn du das möchtest, kriegst du den Job. Die Bezahlung ist saumäßig, dafür bekommst du Unterricht. Schauspielunterricht. Du lernst das Theater von der Pike auf kennen. Was sagst du dazu?“

Der Held sagt erst nichts, dann nickt er stumm, dann stammelt er etwas Unverständliches, dann nickt noch einmal und bricht in Tränen aus. Der Halbwaise, Sohn eines leidenschaftlichen Friseurs („Auf meinem Grabstein wünsche ich mir eine goldene Schere“) steht nun, wenn auch mit wackeligen Knien, auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Ein unwahrscheinlicher Weg, denn „eigentlich wollte ich nur meine Ruhe, und ich hasste alles, was Licht auf mich werfen könnte: Kerzen, Lampen, Kronleuchter, Scheinwerfer.“

Der erste Theaterkontakt gestaltet sich eher nüchtern: „Dieser Kasperl gefiel mir nicht. Unsympathischer Bursche. Spazierte einfach so im Wald herum, hatte eine Idiotenmütze auf dem Kopf und stellte dummen Fragen.“ Das versteht einer die Welt nicht mehr, wie beim „ersten Sex“ im Kindergarten, als die gleichaltrige Trixie fragt, ob er „bumsen“ wolle und daraufhin eine Schleife nimmt und dem Kleinen ums Gemächt wickelt: „Das also war Bumsen. Unspektakulär eigentlich. Obwohl ich davon bislang allerhöchstens ein paar verschwommene Fantasien und dementsprechend wenig Erwartungen gehabt hatte, war ich doch ein wenig enttäuscht.“

Bis zum (scheinbar) glamourösen TV-Engagement muss Robert Seethalers Held durch den ganzen Entwicklungsschlamm einer desillusionierenden Kleinstadtjugend hindurch, als „der einsame Träumer am Schultor“ abhängen, ein Duell mit dem besten Freund ausfechten, „die ganze Welt in ihrem bunten Irrsinn“ kennenlernen. „Jetzt wird es ernst“ ist ein heiterer Entwicklungsroman, der zeigt, wie einer Figur leben eingehaucht wird, welchen Weg auch ein erfundener Text gehen muss, damit man einem anfänglich präsentierten Apfelbaum so etwas wie Individualität zugesteht. Das klingt nun abgefahren – ist es auch. Aber nicht albern, das zeichnet die Geschichte aus, albern ist sie nie, nur die Wahrheit, die kann manchmal ziemlich komisch, bizarr, merkwürdig daherkommen.

Robert Seethaler wurde 2007 für seinen Roman „Die Biene und der Kurt“ mit dem Debütpreis des Buddenbrookhauses ausgezeichnet. Er erhielt zahlreiche Stipendien, darunter das Alfred-Döblin Stipendium der Akademie der Künste. Der Film nach seinem Drehbuch Die zweite Frau wurde mehrfach ausgezeichnet und lief auf verschiedenen internationalen Filmfestivals. 2008 erschien sein zweiter Roman Die weiteren Aussichten. Robert Seethaler lebt und schreibt in Berlin und Wien.

Robert Seethaler: „Jetzt wirds ernst“, Kein & Aber, 304 Seiten, 19,90 Euro

Bildcopyright: Katja Kuhl

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