Geschmack der Sennerinfüße

Vor wenigen Tagen erschien meine erste Theaterreportage im Rolling Stone. Zwei Monate lang bin ich durch die Republik gereist, habe zum ersten Mal seit meiner Hamburger Zeit, als ich wöchentlich bei der Theatersoap im Schauspielhaus saß ein Stück von René Pollesch gesehen, Marek Harloff nach einem ersten Treffen während der lit.COLOGNE in 1LIVE gleich zweimal in Köln besucht („Kippenberger“, „Kabale und Liebe“), Jette Steckel über ihre Inszenierung von „Die Ratten“ am Thalia Theater ausgefragt – und das Debüt von Ferdinand Schmalz in Leipzig gesehen, mit anschließender Kneipentour und hitziger Gruppendsikussion beim Bier. Als Bonustrack und Teaser gibt es hier aus LesenMitLinks das Interview in kompletter Länge – die umfangreiche Story gibt es jetzt am Kiosk, bei den Musikzeitschriften zu suchen. (Beitragsbild: Rolf Arnold)

„In deutschen Stadttheatern gibt es richtig schlechte Kantinen, wo man nur Bulletten und Lichttechnikermarmelade, also Mett bekommt“, sagt Ferdinand Schmalz und freut sich, in Leipzig zu sein, wo mit dem Gasthaus „Pilot“ direkt neben dem Theater anständig gegessen werden kann. Man sitzt beisammen und trinkt und redet und streitet an diesem lauen Frühlingsabend: Die Leipziger Autorin Heike Geißler ist dabei, Regieassistenten, Theaterarbeiter, dann Runa Pernoda Schaefer, die eine der Hauptrollen in Ferdinand Schmalz’ Stück „am beispiel der butter“ spielt. Man spricht über Occupy und Molkereien, über die Notwendigkeit des Chillens im kapitalistischen Aufruhr, über die Dummheit des Systems, über iphones, die wie Braun-Rasierer ausschauen und zur Belohnung an die werktätige Bevölkerung verteilt werden. Stunden später, zwei Cafés und etliche Getränke weiter stehen Runa und Ferdinand draußen, das iphone nimmt auf, überall wird geraucht, Künstler rauchen weiterhin, Künstler rauchen üblicherweise sehr gern. Ferdinand Schmalz raucht nicht.

Ferdinand, was ist den ausgerechnet am Dorf so interessant? Dein Stück „am beispiel der butter“ spielt in einem Dorf, Vea Kaisers Bestseller „Blasmusikpop“ spielt in einem Dorf. Saša Stanišić hat mit seiner Dorfgeschichte „Vor dem Fest“ riesigen Erfolg…

Ferdinand: Ich komme aus der Steiermark, aus einem wirklich kleinen Dorf, aus der Pampa. Dort in der Nähe gibt es eine Ortschaft, die heißt „Keindorf“ und ich habe schon überlegt,ob ich in „Keindorf“ ein Stück spielen lasse, um darauf hinzuweisen, dass selbst die Sachen, die in einem Dorf verhandelt werden, in einem größeren Zusammenhang stehen.

Runa – du bist ein Stadtmensch: in Hamburg geboren, studiert hast du an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Wie fühlt sich die Mimin ins Dörfliche ein?

Runa: Ich fühle mich gar nicht ins Dörfliche rein. Das fände ich viel zu platt. Ich nehme die Figur mit ihren Problemen ernst. Das ist erstmal das einzige worauf ich mich konzentriere. Was dann daraus entsteht, ob es Dörflich rüber kommt, oder nicht, ist kein bewusster Vorgang von meiner Seite. Da hat die Regie, der Text und sogar das Bühnenbild einen viel größeren Einfluss. Ich kann, oder besser will keine Stimmung spielen, oder ein Klischee bedienen. Ich kann nur einen Menschen darstellen.

Ferdinand_Schmalz_kleinFerdinand, bist du inzwischen Butterexperte?

Ferdinand: Mein Vater war Arzt und hat von den den Bergbauern immer Butter bekommen, die goldgelb war, ein bisschen ranzig schmeckte, viel besser als die Butter aus dem Supermarkt. Also, so eine Butter gibt es inzwischen gar nicht mehr. Früher hat man auch gesagt, dass man bei guter Butter die Füße der Sennerin durchschmecken muss, die im Butterfass gestanden hat.

Wie wird aus dem Geschmack der Sennerinfüße ein Theaterstück?

Ferdinand: Ich bin oft heim in die Steiermark gefahren und hab’ Leute getroffen, die am selben Punkt waren, die das Gleiche wie ich gedacht haben – nur in ihrer eigenen Welt. Da gab es jemanden, der in einer Molkerei arbeitet, der hat eine Idee von neuer Politik, von neuen Formen politischen Denkens. Doch statt einer offiziellen, wissenschaftlichen oder philosophischen Sprache, muss er das alles über die Butter, die Molkerei ausdrücken.

Welche Sprache hat denn die darstellende Künstlerin?

Ferdinand: Meine Grundlage ist zunächst einmal der Text. Wie ich diesen dann interpretiere und mit meinen Subtexten ausstaffiere, um ihn dann ins Körperliche zu bringen

Das Stück „am beispiel der butter“ fragt ja nach einer neuen Form politischen Handelns. Ist dieses neue Handeln deiner Meinung nach notwenig geworden? 

Runa: Die neue Form politischen Handelns besteht in „am beispiel der butter“ ja aus kleinen Gesten, die eingefahrene Norm ins Wanken bringen. Wenn zum Beispiel die Hauptfigur Adi, zur Empörung der Ordnungshüter, sein gratis Mitarbeiterjoghurt an die mitfahrenden Zuggäste verfüttert. Das sind natürlich im konkreten nicht Aktionen die ich für politisch notwendig halte. Was aber auch im Stück steckt ist eine Form von sich zur Wehr setzen, sich aus eingefahrenen Strukturen lösen und im kleinen Sachen verändern und sei es erstmal nur im eigenen Umfeld.

Das Theater als Mittel der Eigenbemächtigung?

Runa: Erstmal muss überhaupt wieder ein Interesse an der Welt geweckt werden, es muss sich wieder mehr politisiert werden, öfter mal hinter die Kulissen blicken. Wenn man dann herausfindet, dass man die ganze Zeit auf einer kleinen Polly Pocket Insel gehalten wurde, werden sich die Konsequenzen daraus von ganz alleine ergeben. Es müssen nur genug Leute aufwachen. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass Aufklärung erstmal das Wichtigste ist. Die Augen auf machen, damit „die da oben“ nicht schwerwiegende Entscheidungen hinter verschlossenen Türen fällen können, weil es ja eh niemanden interessiert. Aber es muss uns interessieren! Es ist schließlich unsere Welt und unser Leben!

In welcher Weise taugt hier die Butter als Metapher?

Ferdinand: Für was kann die alles stehen, habe ich mich gefragt. Für was kann man Butter einsetzen? Wie wird Butter hergestellt? Welche Butterrituale gab es früher? Im Mittelalter wurde noch Weihwasser ins Butterfass geschüttet, oder Nägel, um die Butterhexe zu töten. Butterschändung war ein schwerwiegendes Vergehen, was mit Folter geahndet wurde.

Wie kann man denn Butter schänden?

Ferdinand: Vornehm ausgedrückt: wenn du Butter für nicht-nährhafte Zwecke verwendest. Der letzte Tango in Paris.

Hat Dich Wut über bestimmte Verhältnisse zum Stück gebracht?

Ferdinand: Wut war es nicht, obwohl „am beispiel der butter“ aus den Entwicklungen entstanden ist, die vor zwei, zweieinhalb Jahren mit Occupy und den Demos am Tahirplatz in Kairo aufkamen. Plötzlich war politisch etwas möglich, was dann ja auch mit Schlagworten wie dem Wutbürgertum identifiziert wurde. Überall gab es Zeltbauten und der öffentliche Raum wurde zurückerobert.

Wann begann Eure Lebe zum Theater?

Ferdinand: Das ist lange her. Ich habe bei einem Theaterausflug in Linz „Fiddler on the Roof“ (Anatevka) gesehen. Alle meine Klassenkollegen haben es gehasst. Ich fand es toll. Das war in einer Papierschachtel. Das Papier war zum Schluss ganz zerrissen und hat zu brennen angefangen.

Runa: Daran kann ich mich garnicht mehr erinnern! Die Liebe zur Bühne war schon immer da. Meine Oma erzählt immer noch, wie ich ständig und überall etwas aufführen und mich verkleiden wollte. Außerdem habe ich es nie anders gekannt. Die Bühne war allgegenwärtig. Mein Vater ist Musiker und ich war immer dabei, wenn er mit seiner Punk Band „The Big Balls and the great white idiot“ unterwegs war.

Brennendes Papier, das beeindruckt auf der Bühne. „am beispiel der butter“ ist dagegen märchenhafte Utopie. Wie kommt man von der Action zur Relevanz?

Ferdinand: Das fing 2000 mit Schlingensiefs „Ausländer raus“, im Container bei den Wiener Festwochen an – eine Mischung aus Big Brother und Asylabschiebeverfahren. Da habe ich verstanden, dass Theater Diskussionen anregen kann, so Irritationsmomente in den öffentlichen Raum setzen.

Brutales Wikipedia-Wissen: Die Postdramatik hat seit den 60er Jahren stringente Handlungen abgeschafft, mit Textflächen gearbeitet, Wortschablonen, die keine Figuren mehr durchscheinen lassen. Ist „am beispiel der butter“ dann Post-Post-Dramatik?

Ferdinand: Es will schon in eine neue Richtung gehen, auch wenn die Monologe in meinem Stück recht große Flächen einnehmen. Die Figuren in meinem Stück fordern durch die künstliche Sprache zwar eine distanzierte Haltung von den Schauspielern, trotzdem versuche ich eine dramatische Handlung voranzutreiben.

Woher kommen deine Splatterleidenschaft, die Untoten und Post-Humanen in deinem Stück?

Ferdinand: Ich glaube, die Verehrung derer, die eigentlich tot sind, die man aber als Lebende anspricht, ist überaus wichtig. Also quasi ein Dialog mit den Untoten. Ich gehe gern auf den Friedhof und treffe dort Leute, die eigentlich schon tot sind.

Aber doch nur, indem du vor dem Grab stehst, oder?

Ferdinand: Ja, genau. Ich spreche dann mit denen, also mit Bekannten aus dem Freundeskreis, die aber gestorben sind. Ich bin schonmal vor Prousts Grab gestanden, da habe ich aber nicht viel gesagt.

Ferdinand Schmalz steht am Anfang, er lebt, wird noch lange leben: Ist es anders, ein Stück zu spielen, wenn man den Autor im Publikum sitzen hat?

Runa: Es war vorallem während der Probenzeit anders. Es war einfach toll, dass Ferdinand uns da zum Teil begleitet hat. Ob er dann im Publikum sitzt, oder nicht, ist dann im endeffekt egal. Aber davor war es schon spannend, den Autor direkt fragen zu können, wie er was meint.

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1 Kommentar

  1. […] vor. Es regnet Milch. In einer der Hauptrollen spielt – hellwach – Runa Pernoda Schaefer (hier im Interview, weiter unten in “Lulu” zu sehen) die Geliebte und Revolutionsschwester des Adi. Alles […]

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