Witsch-Biograph Frank Möller: „Das waren autoritäre Säcke“

Als dem KiWi-Verlagsgründer Joseph Caspar Witsch (*1906, † 1967) im Dezember 1966 das Verdienstkreuz Erster Klasse angetragen wurde lehnte er pikiert ab. „Er hatte erfahren, dass einem Fußballtrainer namens Josef Herberger wenige Tage zuvor das Große Verdienstkreuz zuerkannt worden war. Es rangierte höher als die ihm selbst offerierte Auszeichnung. Hinter der – so Witsch – ‚analphabetischen Fußballanbeterei‘ mochte sich der selbstbewusste Streiter für die Buchkultur aber unter gar keinen Umständen einsortieren lassen.“ Das berichtet der Kölner Frank Möller in „Dem Glücksrad in die Speichen greifen“, Band zwei der Witsch-Chroniken nach „Das Buch Witsch“ im Jahr 2014. (Die Rechte der Fotos liegen bei Kiepeneheuer & Witsch)

250 Seiten hatte KiWi-Verleger Helge Malchow über den Verlagsgründer bei Frank Möller bestellt – entstanden sind fast 1400 Seiten, aufgeteilt in zwei Bänden. Wer die beiden Brocken durchgelesen hat (das geht erstaunlich schnell), der kennt einen Mann, der als Volksbibliothekar in der NS-Zeit irgendwo zwischen Mitläufertum und Widerstand angefangen hat, der dann aus dem Nichts einen der einflussreichsten Verlage der deutschen Nachkriegszeit aus dem Boden gestampft hat, der charismatisch auf der einen, geradezu übertrieben herrisch auf der anderen Seite gewesen ist. Was ihn aber besonders auszeichnet und was diese Geschichte 2016 weiterhin aktuell werden lässt, ist sein souveräner Umgang mit den neuen Medienherausforderungen seiner Zeit. Dazu später mehr.

Hat der erste Band die „Sozialisationsstufen“ Joseph Caspar Witschs von der katholisch geprägten Jugend in der Wandervogelbewegung bis zur Verlagsgründung in Hagen und den Aufbau des Verlags in Köln beschrieben, setzt Band zwei noch einmal neu in der Nachkriegszeit an und zeichnet den rein verlegerischen Weg anhand von Autorenbeziehungen nach, die vielen Aktivitäten um das neue Haus, das man heute mit Schriftstellern verbindet wie Benjamin von Stuckrad-Barre, Maxim Biller oder Christian Kracht. War es denkbar, dass diese Autoren zu Beginn bereits bei KiWi gelandet wären?

9783462309843Wohl kaum. „Eine Gruppe von Nachkriegsautoren, die ich zu finden erwartet hatte, fehlten“, schreibt Frank Möller und zählt auf: “Ingeborg Bachmann, Günter Eich, Günter Grass, Uwe Johnson, Peter Handke, Martin Walser oder auch die rheinischen Sprachartisten Albrecht Fabri und Jürgen Becker.“ Witsch verlegte stattdessen Exilautoren wie Erich Maria Remarque, kaufte J.D. Salinger ein, bemühte sich um Schriftsteller, die um die Gruppe 47 einen großen Bogen machten. Tatsächlich war Witsch selbst ebenfalls nie bei den Treffen. „Der einzige Autor, den er dort abgefischt hat, und den hat er anders abgefischt, war Heinrich Böll“, berichtet Möller im Interview. „Den wollte damals keiner haben. Böll schrieb über Sachen, von denen keiner etwas hören wollte, beispielsweise über den Krieg. Die anderen Autoren hat Witsch aus purem Ressentiment nie kennengelernt, weil Hans Werner Richter ein linksorientierter Mann war, Joseph Caspar Witsch eher CDU-orientiert, der das im Kalten Krieg auch eindeutig positioniert war. Witsch hatte ganz einfach was gegen den Friedensfreund, der gegen die Wiederbewaffnung und gegen die atomare Aufrüstung der Bundeswehr kämpfte.“

Witsch setzte sich trotz dieses Bogens um das wichtigste Autorentreffen jener Zeit durch und er wurde in der Verlagsszene geschätzt. Während im anderen Deutschland, hinter der Mauer, der traditionsreiche Kiepenheuer-Verlag arbeitet und die Verlegerwitwe behauptet, es gäbe besagten Zusammenschluss mit Witsch nicht, nimmt der Kölner bereits 1949 mit zwanzig Büchern an der ersten Frankfurter (Nachkriegs-)Buchmesse in der Paulskirche teil.

Zum 50 Geburtstag bekommt Witsch als Zeichen der Wertschätzung ein besonderes Präsent: Jean Giono schenkt dem Verleger eine Erzählung mit der Auflage 1, was einen sofort an die Exklusivausgabe von Wolf Wondratschek im vergangenen Jahr erinnert, aber auch an den inzwischen inhaftierten Pharmahai Martin Shrkeli, der Ende 2015 eine exklusiv für den Meistbietenden gepresse Schallplatte des Wu Tang Clan ersteigert hatte. Er selbst soll sich das Album bislang nicht einmal angehört haben und bis wir alle von Wolf Wondratschek etwas lesen werden, kann dauern. Ganz anders hat damals Witsch reagiert: „Ich war mir bewusst, daß ich, indem ich mir die Erlaubnis zur Auflage holte, fast in den Verdacht kommen müßte, ein Geschenk seiner Einmaligkeit zu berauben; aber dann schien mir wieder, daß der Geiz, auch in literarischen Angelegenheiten, ein Laster ist und daß man nicht allein behalten dürfte, was für viele ein reines Vergnügen sein könnte.“

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Joseph Caspar Witsch war ein großzügiger Mensch – wenn er mit seiner Großzügigkeit eigene Interessen wahren konnte. Beispielsweise unterstützte er etliche Flüchtlinge aus der DDR, ließ auch einstige Weggefährten nicht im Regen stehen, half im Verborgenen und machte darüber kein großes Aufsehen. Die Scheinwerfer stellte er lieber für seine Autoren auf, bat hier die F.A.Z. diskret um eine „Stellungnahme des Verlegers“ zu einem seiner Bücher, engagierte sich dort für verschiedene Schriftsteller des Exils. „Der Versuch einer abschließenden Bilanz der Bemühungen Witschs, die deutschsprachigen Exilschriftstellerinen und -schriftsteller in der Bundesrepublik wieder populär zu machen und ihren Werken frischen Glanz zu verleihen, kann nur gemischt ausfallen“, schreibt Möller.„Langfristig verdienstvoll und erfolgreich war es ohne Zweifel, Erich Maria Remarque und Joseph Roth an den Verlag zu binden, die bis heute in Gesamtausgaben verfügbar sind. Von der allzu häufig unterschätzten Vicki Baum sind heute immerhin noch drei wesentliche Romane im Programm von Kiepenheuer & Witsch vertreten: ‚Menschen im Hotel‘, ‚Hotel Shanghai‘ und ‚Liebe und Tod auf Bali‘. Zudem wurden zu diesen drei Autoren kenntnisreiche Biografien nachgereicht. Der Versuch, René Schickele mit einer Werkausgabe einem breiteren Publikum zu erschließen, muss dagegen als gescheitert angesehen werden. Die meisten der übrigen Exilautorinnen und -autoren, denen der Verleger seine Aufmerksamkeit zugewandt hatte, sind heute nahezu vergessen.“

Einen Mann hat Witsch jedoch mit heißem Bemühen in der Weltliteratur durchgesetzt: den späteren Literatur-Nobelpreisträger Heinrich Böll. Witsch mochte Böll, was vermutlich auch an den ähnlichen Biografien der beiden Männer gelegen hat. Möller schreibt: „Beide stammten aus Handwerkerfamilien und hatten früh materielle Not kennengelernt und ihre Familie schon in jungen Jahren unterstützen müssen. Beide waren in Köln aufgewachsen und dem rheinischen Milieu eng verhaftet. Beide waren in Gegnerschaft zum Nationalsozialismus groß geworden, und beide hatten ein äußerst gespanntes Verhältnis zur katholischen Amtskirche, ohne sich indes von ihren religiösen Grundüberzeugungen tatsächlich lösen zu können oder zu wollen. All das verband. Hinzu kommt, dass beide Männer besessene Arbeiter waren, die sich immer mehr auferlegten, als eigentlich zu bewältigen war.“

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Wo gehobelt wird, da fallen Späne – und die Art und Weise, wie der durchaus auch cholerische Witsch seinen Laden geführt hat, lässt hier und da zusammenzucken. Für die  Wissenschaftsreihe hatte er Dieter Wellershoff ins Lektorat geholt, der Geistesgrößen wie Jürgen Habermas, Hans-Ulrich Wehler, Gérard Gäfgen, Carl Friedrich Graumann und Eberhart Lämmert für KiWi gewinnen konnte. „Viele dieser Bücher wurden außerordentlich erfolgreich – bis schließlich die Verbreitung von Fotokopierern in den 1970er Jahren das Ende des Wissenschaftsbooms bei Kiepenheuer & Witsch einläutete.“ Wellershoff war smart und Witsch entdecke, dass mehr in diesem Mann steckte. Er war schon lange mit dem deutschen Gegenwartsprogramm seines Verlages und dem dafür zuständigen Lektor unzufrieden. Da kam es zu einer unschönen Szene, die Wellershoff wie folgt erinnert:

„Wir sind beide reingerufen worden, weil er mit uns über die Lektoratsarbeit sprechen wollte. Ich hatte einige Sachen vorzulegen. Und dann hat er den Best von oben runtergekanzelt, ihm Vorwürfe gemacht, er hätte nichts Neues gebracht usw. Und das alles in meiner Anwesenheit. Dann habe ich gesagt, ich würde so lange rausgehen. Und Best war schon völlig außer sich. Der stand auf und ging ans Fenster, weil ihm die Tränen kamen. Und ich sagte, jetzt geh ich raus. Da sagte Witsch aber: ‚Nein, Herr Wellershoff, Sie bleiben hier und Herr Best verlässt den Raum, sobald er sich gefasst hat.‘“

Das ist eine von etlichen Stellen, die Witsch in keinem guten Licht erscheinen lassen, die aber deshalb hervorzuheben sind, weil der eigene Verlag – auch nach Aussage von Frank Möller – kein Stück weit in den Text eingegriffen hat: „Der Verlag hat mich eher stimuliert, möglichst viele negative Seiten von Joseph Caspar Witsch während der NS-Zeit, auch als jemand, der mit dem CIA gesteuerten Kongress für kulturelle Freiheit zusammengearbeitet und eine Filiale in Köln geleitet hat, diese Dinge auszugraben.“ Witsch der Unsympath? Möller erklärt: „Witsch ist ein Kind seiner Zeit. Diese Patriarchen, das waren autoritäre Säcke. Da kann man im gleichen Atemzug Konrad Adenauer nennen, da kann man Kurt Schumacher nennen, da kann man die Lehrer dieser Zeit nennen, da kann man einen Großteil der Väter dieser Zeit nennen. Also, er unterscheidet sich da nicht relevant. Wenn Sie sagen, er war ein Unsympath – ja, das waren viele in dieser Zeit: Unsympathen.“

Witsch_2Gleichzeitig war Witsch ein beeindruckender Gestalter der damaligen Herausforderungen. Der Buchmarkt war im Wandel, aus vielerlei Hinsicht. Man betrachtete 1961 mit Sorge, dass jährlich 12.000 Bücher auf den Markt geworfen wurden, eine schier unvorstellbare Zahl (2015 waren es dagegen fast 90.000, also schlechthin das Siebeneinhalbfache. Dann gerieten die Buchhandlungen unter Druck, weil Buchclubs aggressiv in den Markt traten. „Sie müssen sich vorstellen, wenn Bertelsmann seinen Bücherwagen direkt vor einer Buchhandlung parkte, und das Buch, das in der Buchhandlung für acht DM angeboten wurde, für 4,50 DM anbot, dann war das schon ein großes Ärgernis“, erklärt Frank Möller.

„Dieses Ärgernis bekamen natürlich auch die Verlage zu spüren, seitens der Buchhändler. Da gibt es Briefe mit wüsten Beschimpfungen. Witsch hat immer eine sehr kluge Strategie gefahren. Er hat nicht gesagt: Wir schotten uns da ab, sondern, wir müssen eigene Gründungen vornehmen um selber, wenn schon nicht als Buchclub, aber dann als Sekundärverwerter aufzutreten. In dem Kontext ist damals eine Gruppierung zustande gekommen, die hieß ‚Bücher der Neunzehn‘, das war eine Vertriebsgemeinschaft von 19 Verlagen und dann eben auch, und dort ist Witsch der Inspirator gewesen, die Gründung von dtv als ein Verlag, der einerseits eigene Taschenbuchrechte vermarktet von den beteiligten Firmen, und andererseits aber auch ein eigenständiges Programm fährt.“

Zu Weihnachten 1952 begann außerdem die Nachkriegsfernsehzeit in der BRD als auch in der DDR, und es war keinesfalls abzusehen, in welcher Weise das Programm die Menschen von der Lektüre abhalten würde. Auch dort blieb Witsch cool und versuchte, die Sache zu gestalten, indem er eine große Vermarktungsfirma plante, die hauseigene Stoff fürs TV aufbereiten sollte. Daraus wurde nichts. Das Rennen machte ein Klempnersohn, den damals niemand auf dem Zettel hatte: Leo Kirch, der wenig skrupulös auftrat und „Witschs Postulat, nach dem die Kommerzialisierung der Literatur notwendige Bedingung der Freiheit sei, lediglich auf den Film erweitert und radikalisiert hatte.“ – Dafür gelang unter Witschs Ägide ein anderer Coup, nämlich die Gründung der VG Wort und wenn man sich die Sache genauer ansieht, wird auch klar, weshalb sich damals Verleger zu 50 Prozent an den Einnahmen beteiligen konnten – was seit ein paar Wochen bekanntlich auf der Kippe steht.

Witsch war eine interessante Figur und es ist bemerkenswert, wie Frank Möller akribisch Fakten recherchiert und zu diesem Lebenswerk verbunden hat, unaufgeregt und kenntnisreich. Man liest beide Bücher gern. Abschließend befragt, wie viel Joseph Caspar Witsch im aktuellen KiWi-Programm steckt, antwortet Frank Möller: „Da kann man in gewisser Weise spekulieren und sich fragen: Gibt es eine Linie von Saul Bellow oder Salinger zu David Foster Wallace oder Don de Lillo? Man kann zumindest so viel sagen: Es geht ja nicht nur um literaturwissenschaftliche Linien; aber wenn ich mir erst einmal einen Stamm von amerikanischen Autoren aufgebaut habe, dann bin ich auch eine Anlaufstelle für amerikanische Literatur. Und diese amerikanische Literatur, die ist eigentlich durch die Jahre im Verlag Kiepenheuer & Witsch sehr stark geblieben, bis heute, also über die Geschichte von drei Verlegern. Witsch ist zudem Türöffner für lateinamerikanische Literatur, holt den Autor [João Guimarães] Rosa mit ‚Grande Sertão‘ in seinen Verlag zu einem Zeitpunkt, wo diese Mischung aus Realismus und Phantastik andere Verleger völlig abschreckt und die sagen: ‚Das ist interessant, kommt aber viel zu früh.‘ Unmittelbar nach Witschs Tod, 1967, schafft es Rainold Neven Dumont, sein Nachfolger und Schwiegersohn, die Unterschrift unter den Vertrag mit Gabriel García Márquez zu setzen.“

Frank Möller: „Das Buch Witsch“, mit einem Vorwort von Helge Malchow, KiWi, 782 Seiten,   29,99 Euro / „Dem Glücksrad in die Speichen greifen“, KiWi, 608 Seiten, 29,99 Euro

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