Lokalperlen: Expressionistischer Hörspieljazz

Vielleicht war die inzwischen aufgelöste Live-Technoband Eeza vor zwei, drei Jahren ähnlich beeindruckend, wie Future Shock am vergangenen Montag. Zur zweiten Sommer-Jazzsession im Bloomclub an der Alten Freiheit eröffneten die Wuppertaler mit einem hochmodernem, großstädtischem Set besonderer Art.

Wer sind die Jungs? Selten ist ein Bandportrait automatisch technisch basiert, wie bei Future Shock. Es würde wenig nützen, den üblichen David Copperfield-Kram wiederzugeben, Geburtsorte, Ausbildungsstationen, Freizeitbeschäftigungen. Hier geht es nur um das Eine, um die Musik, wie sie klingt, wie sie gemacht wird. 2003 traten Maik Ollhoff (Schlagzeug), Koljeticut (DJ-Set) und Christof Söhngen (Gitarre) bereits bei der Session auf, um eine damals wenig bekannte Verbindung zwischen Konserve und Live-Instrumenten einzugehen.

Heute spielt der Wuppertaler Dirk Sengotta im Oberbarmer Technoclub Butan Schlagzeug um null Uhr nachts zu Vinyl-Musik der Studio 54-Ära. – International erfolgreiche deutsche Bands wie die Märtini Brös oder Kid Alex sind beides: Clubelectro- und Hallenrockformationen. Der DJ- und Effektmann im Hintergrund, kombiniert mit Bühnen-Pop, ist geläufig. Doch nicht immer ist das Ergebnis zu artifiziell und vorwärts schreitend wie bei Future Shock. DJ Koljeticut, Hip-Hop- und Funk-affin, trat vor einiger Zeit mit seinen Plattenspielern als Begleiter der Dortmunder Symphoniker auf, im Rahmen von Roncallis‘ Reihe Circus meets Classic.

Montagabend wurde sein Future Shock-Trio um Kontrabassist Markus Braun und Oliver Maas am markanten Fender Rhoades Piano erweitert. Hervorragende Musiker. Koljeticut dazwischen, als auffälligster Mann, was auch daran liegt, dass Plattenspieler auf Jazzsessions weiterhin Exoten sind. Der junge DJ scratcht, mal mit einer, mal mit zwei Vinyl, er transportiert Geräusche und Musikfetzen in halb improvisierte, teilweise an Motiven aufgehängte Jazzmusik seiner Bandkollegen. Das Spannende: Future Shock sind nicht auf einen Stil festgelegt. Montag waren zwei Nummern Mittelpunkt des Auftritts: Ein Motiv Christoph Söhngens und eines von Jazzgitarrenstar John Scofield.

„Zu diesen Noten können wir immer wieder zurückkehren“, sagte Söhngen später, „wir basteln darum Improvisationen, man muss die erste Idee nehmen, die kommt und es dann ausprobieren, schauen, wer aus der Band mitzieht.“ Falls alles ausfranst, „kehren wir zum Ursprung zurück.“ Dazwischen gibt es beispielsweise verebbende Minmal-Versatzstücke, die durch leises Pianospiel, Effektscratches und mit Schlagzeugsticks bearbeitetem Kontrabass, fortwehender Gitarre und mit Besen angeschlagener Snare eine ätherische Atmosphäre verbreiten. Diese sind vielleicht am ehesten mit kunstvollen, vor allem 2003 entstandenen „Dehli 9“-Kompositionen von „Tosca“, dem Electrofrickelprojekt von Richard Dorfmeister und Peter Huber vergleichbar.

Dann wechseln Future Shock in Swing, wie Standards-Abspiel-Parodie, bevor Koljetictut mit irritierenden Hörspielbruchstücken („wir müssen diese Stadt verlassen“) neue Ecken aufsucht. Die Band folgt. Dann wirft Oliver Maas eine expressionistische Tonfolge rein, steckt Markus Braun an, der sich zu ihm wendet, wodurch das Gleichgewicht in der Band kippt. Mail Ollhoff und Koljeticut kämpfen ein bisschen gegeneinander, um Spannung zu erzeugen, um alles aufzureissen, den Möglichkeitsraum zu erweitern, bis zur verdienten Pause. – „Wir müssen uns immer wie der in Ruhe sammeln“, begründet Christoph Söhngen längere Wartezeiten zwischen den Future Shock-Nummern. Die Zuschauer dürften noch länger benötigen, um sich nach einem derartigen Abend zu sammeln. Ein Auftritt dieser Band wirkt nach. Ihre Musik ist wirklich große Kunst. Im Herbst folgt wahrscheinlich ein Anschlussauftritt im Tal.

Empfohlene Artikel

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.