Ein hyperaktiver Pinguin, nochmal „mein Freund Rilke“, Maulwurf Manuel und die schönsten Kreise, die unser Leben zieht, werden vorgestellt in den Bilderbüchern des Messe-Monats Oktober, in dem nun endgültig die Heizung angestellt und der Herbst notwendigerweise begrüßt wird.
„Denn das Schöne ist nichts / als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, / und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, / uns zu zerstören.“ – Es ist Rilke-Doppeljahr: 1875 wurde der Dichter als René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke in Prag geboren. Seinen Vornamen änderte er auf Anraten von Lou Andreas-Salomé. Er starb 1926, weshalb auch 2026 ein Jubiläum sein wird. Neben zwei Biographien (Manfred Koch, Sandra Richter) gibt es zahlreiche Auswahlbände, die Anthologie „Tanzt die Orange“, herausgegeben von Jan Wagner und Norbert Hummelt (am Messe-Mittwoch waren beide zu Gast auf der Deutschlandfunk-Bühne) und diese lehrreiche Graphic Novel der 1972 geborenen Berlinerin Melanie Garanin. Sie stellt die Provinzblatt-Journalistin Ellen vor, die Rilkes Lebensstationen besucht (Paris, Worpswede: „Schloss-Hopping wäre die korrekte Bezeichnung für seine Wohngewohnheiten“) – und die während ihrer Reise einen Mann kennenlernt, der sie mit Versen becirct und behauptet, selbst Rilke zu sein.

„Der zehnjährige Rilke schrieb sein allererstes Gedicht für seine Eltern zum Hochzeitstag. ‚Ein hoher Festtag ist gekommen, / ein klein Papier hab ich genommen …’ Kurz darauf trennen sie sich.“ Zahlreiche Gedichte Rilkes werden vorgestellt, künstlerische Wegmarken genannt, daran erinnert, dass die Begegnung mit Rodin den Grundstein legte für die „Neuen Gedichte“ (1907) – „Lyrik, die nicht mehr fromm war und in der es nicht vordringlich um die Gefühle des Dichters geht, sondern um Dinge.“ Nicht auf das Gewinnen kommt es an, sondern aufs Wagen – woran das schöne Nachwort erinnert. Ein Lehrstück im didaktischen und zeichnerischen Duktus der 1980er Jahre, mit postmodernem Kniff: „Bist du jetzt ein Schauspieler, ein ziemlich guter, oder warum machst du einen auf Rainer Maria Rilke? Oder bist du ein Freak oder…“ Über allem schwebt die große Frage: Sind 100 Jahre Altersunterschied ein Problem? Ellen versteht jedenfalls dies: „Du musst dein Leben ändern.“ Melanie Garanin: „Mein Freund Rilke“, mit einem Nachwort von Torsten Hoffmann, Carlsen, 192 Seiten, 26 Euro, ab 12 Jahre

Buddhisten kennen das Leben „als“ Kreis. Das Leben „in“ einem Kreis zeigt hingegen die italienisch-britische Illustratorin Eleonora Marton anhand dieses Bilderbuchs, das reduziert wie ein Mondrian-Gemälde kontrastierende Doppelseiten zeigt, beide Hälfte mit einem Kreis in der Mitte. Die Bedeutung zeigt sich je nachdem, welche Farbe der Kreis hat und vor welchem Hintergrund er sich abhebt: ein schmutziges Braun auf lilafarbener Fläche ist „ein Sandkorn auf dem Strandtuch“, hingegen ein lilafarbener Kreis vom selben Braun umgeben: „Die Murmel im Sand“. Von Seite zu Seite größer werden die dargestellten Objekte, sind mal ein Konfetti auf dem Boden, oder poetisch „eine Sorge in meinem Kopf“, „der Knopf an meiner Manschette“, dann: „das Lied in meinem Ohr“ – noch treffender im Original mit „A Hole in the Whole“ betitelt. Und so lernen wir, die Anfänge des Philosophierens ahnend, dass sich „ein Käfer auf einem Blatt“ mit unserem „Platz im Weltraum“ vergleichen lässt, oder auch: „Eine Minute Deiner Zeit“ mit dem „Detail, das Du vergisst“. Eleonora Marton: „Das Leben in einem Kreis“, aus dem Englischen von Eleonora Marton, Helvetiq, 80 Seiten, 19,90 Euro

Es wird noch einmal sommerlich, mit einer slowenischen Geschichte, in der Eichhörnchen Emilia rauschend-lauschig Gartenparty feiert. Sieben Briefe trägt Postbotin Paulina aus, sieben Einladungen für Marienkäfer Marie, Feldgrille Fabian, Raupe Radegunde, Maus Magdalena, Maulwurf Manuel und Igel Isiodor: und wer richtig nachgezählt hat, wird feststellen, dass ein Gast fehlt (mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden). Die naiv gezeichneten, mit angedeuteten Menschenköpfen gesegneten Gesellen wohnen so, wie sich viele Kleininder Tierhabitate vorstellen: mit gemütlicher Küche und geschwungenen Korbsesseln, mit Musikzimmern, Ölfunzeln und Blechsieben, mit Zettelkastenkommoden und höchst altmodischen Grammophonen. Computerbildschirme, Induktionsplatten. Klima- und HiFi-Anlagen gibt’s in diesem Wäldchen nicht. Selbstverständlich bringen die sechs Gesellen kreative Gastgeschenke mit: eine Birne vom Obsthain, Kleeblätter aus dem eigenen Gärtchen. Ferdinand packt seine Fiedel ein. Das japanische Sprichwort „Kein Weg ist lang, mit einem Freund an deiner Seite“, ist dieser warmherzigen, detailreich illustrierten Geschichte vorangestellt, die selbst viele Freunde gewinnen wird, sodass wir strahlende Begleitung haben in den kommenden dunkel-kalten Wintertagen. Maja P. Kastelic: „Eingeladen!“, aus dem aus dem Slowenischen von Sebastian Walcher, Bohem, 48 Seiten, 20 Euro, ab 3 Jahre

Oft hört der hyperaktive Jürgen Pinguin, er sollte den Schnabel halten. Der Schnabel nervt, aber mit ihm erzählt das kleine Tier auch seine faszinierenden Geschichten. Die Dänen Sabine Lemire und Rasmus Bregnhøi haben ein phantasiebegabtes, kleines Schulkind ersonnen, dem 1000 Ideen im Kopf herumschwirren: „Es ist ein ganz normaler Samstagmorgen. Jürgen wacht früh auf. Beim Aufstehen weiß er immer schon, was er vorhat, denn jeden Abend denkt er vorm Einschlafen darüber nach, was er am nächsten Tag basteln könnte.“ Nun ist’s ein Hund. „Jürgen steht auf und holt die Heißklebepistole aus dem Schubfach. Er ist heute so richtig in Klebelaune. Es muss ein großer Hund werden, denkt Jürgen und steckt die Klebepistole in die Steckdose.“ Selten wurde ähnlich schön gezeigt, welche Herausforderungen auf der einen, welchen Reichtum auf der anderen Seite ADHS-Kinder in eine Familie bringen – und wie wichtig die achtsam-geduldige Begleitung von Eltern ist. So ist „Jürgen Pinguin baut was, was bellt“ die gelungene Eröffnung einer verheißungsvollen Reihe, die hoffentlich schon bald fortgesetzt wird. Sabine Lemire (Text), Rasmus Bregnhøi (Illustration): „Jürgen Pinguin baut was, was bellt“, aus dem Dänischen von Franziska Gehm, Klett-Kinderbuch 56 Seiten, ab 4 Jahre.
