„Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten“ weiß Debütantin Anna Maschik. In ihrer straff erzählten Geschichte, die von ihrer Urgroßmutterlinie bis zur Gegenwart reicht, stellen sich allerhand resiliente Frauen gegen die unbeugsame Macht des Erbguts – und erleben das landwirtschaftliche Schlachten ebenso wie die unvermeidlichen Tode, die eine norddeutsche Familie heimsuchen.
Ein Schriftsteller ist ein Künstler, der mit dem Körper seiner Mutter spricht, beobachtete der französische Philosoph Roland Barthes – ein Bild, das Daniela Dröscher in diesem Herbst zum Ausgang ihres Anamneseromans „Junge Frau mit Katze“ genommen hat. Anna Maschik, knapp 20 Jahre jünger als Dröscher, geht einige Generationen weiter und spricht nicht nur mit dem Körper ihrer Mutter, sondern auch dem ihrer Groß- und der Urgroßmutter.
Maschiks Geschichte nimmt ihren Anfang im ländlichen Norddeutschland, mit einer während des Zweiten Weltkrieges illegalen Hausschlachtung. Die Urgroßmutter weidet in der Waschküche ein Schaf aus, weil Schafe – anders als Schweine – still ihr Schicksal erdulden, daher der Titel dieses Romans. Die Bäuerin, die selbst still ihr Schicksal erduldet, zieht eine gerade Linie bis zum Brustknochen des Tieres, das vor ihr aufklappt wie ein Buch – so geschieht der poetische Übergang vom blutigen Körper in die Literatur.
„Wir betreten die Geschichte durch die Innereien eines Schafes und wie auch ich die Welt betreten habe: durch einen Schnitt im Unterleib. Die Nabelschnur hat sich dreimal um meinen Hals gewunden wie ein Strick, und so schneidet die Hebamme, ihr Name ist Anna, meiner Mutter einen lachenden Mund in den Bauch, holt mich heraus und näht ihr das Lachen zu einem schiefen Lächeln zu. Ich möchte mich vorstellen, ich bin Alma, und meine Erzählung ist eine Eingeweideschau.“
Schweigsame Väter, duldsame Mütter
Der Name Alma ist das spanische Wort für „Seele“. Alma, Seele dieses Romans, ist das jüngste Mitglied einer Bauernfamilie, zugleich die allwissende Erzählerin, die vom ersten Tag des 20. Jahrhunderts bis in unsere Gegenwart berichtet. Sie spürt dem Lebensweg resilienter Frauen nach. In kurzen Abschnitten – mehr Spotlights denn Kapitel – folgt Alma dem zerklüfteten Da-Sein dieser Familie, die nach dem Zweiten Weltkrieg zersplittert, weil eine der Töchter von Norddeutschland aus den Weg nach Österreich antritt, der Heimat Anna Maschiks. Unsentimental berichtet sie vom entbehrungsreichen Landleben, von Kriegsopfern, Hunger, Armut, von schweigsamen Männern und immer wieder von duldsamen Müttern, die wenig Kraft für eine empathische Erziehung ihrer empfindsamen Töchter haben.
„Ein Kind verspeist die Mutter, erst von innen, dann von außen. Ich denke, als Rache wird im Märchen oft das Kind verspeist. Der Wolf frisst das Rotkäppchen und die jungen Geißlein. Die Hexe heizt den Ofen für Hänsel an. Baba Jaga rührt die Kinder in ihren Suppentopf. Daumesdick sitzt erst im Magen der Kuh und dann des Wolfs. Nie wird jemand zerkaut oder verdaut, sondern stets im Ganzen verschlungen. Wird dann die Bauchdecke aufgeschnitten, kommen alle lebendig und frohgemut daraus hervor, als wäre nichts geschehen.“
Nachdenkliche Furchen
Maschiks Geschichte ist angelehnt an Familienerzählungen der Autorin. Im kurzen Interview, das dem Presseexemplar dieses Romans angehängt ist, bekennt sie, dass die eingangs schlachtende Urgroßmutter ihre eigene ist – und dass sie sich von ihr ausgehend gefragt hat, „auf welche Weise die Leben jener, die vor uns kamen, unser eigenes formen.“ Entstanden ist ein körperliches Buch. Die Biegung zum norddeutschen Bauernhof erscheint als „eine lange Zunge in den Mund“. Der Scharflug ritzt dem Ackerboden „nachdenkliche Furchen in die Stirn“. Eine Wohnung erscheint wie „ausgeweidet“ und der hölzerne Dreschflegel an der Wand steht gleichsam für bäuerliche Arbeit und für jene Körperstrafen, die den jungen Körper eines Kindes schinden. Nicht so explizit wie in Michael Hanekes brutalem Kinofilm „Das weiße Band“, doch ebenso allpräsent ist hier die Gewalt. Selbst als ein kleiner Sohn seine Mutter vorfindet, die gerade in der heimischen Werkstadt ihr zweites Kind geboren hat, assoziiert er das Lebenswunder mit einem körperlichen Übergriff.
“Die Mutter liegt ausgestreckt auf der Werkbank, zwischen Sägespänen und Werkzeug. Eine schwarze Tasche steht am Fußende der Bank, ein Kissen ist ihr unordentlich unter den Kopf geschoben und ein Leintuch über Bauch und Beine gebreitet. Er sieht die Klemmen, die an die Kanten der Werkbank geschraubt sind, und denkt, damit wurden die Arme und Beine der Mutter fixiert, sodass sie sich nicht wehren konnte.”
Wieder eine Familienerforschung
Es gibt einige Koinzidenzen mit anderen deutschsprachigen Veröffentlichungen dieses Jahres. Man findet Überschneidungen mit Ralf Westhoffs ebenfalls von weiblicher Emanzipation erzählendem Bauernroman „Niemals nichts“, zudem formale Kniffe, die auch Kathrin Bach in ihrem kursorischen Reigen „Lebensversicherung“ verwendet hat. Die transgenerationale Familienerforschung Anna Maschiks fällt zusammen mit dem fast zeitgleich erschienenen „Lázár“-Roman des 22-jährigen Debütanten Nelio Biedermann. Doch trotz dieser Redundanzen und einiger allzu naheliegender Formulierungen ist Anna Maschik ein stringenter Erstling gelungen. Sie vermag es sogar besser als Daniela Dröscher: mit dem Körper der Mutter zu sprechen und so jenen, die still gelitten haben, eine poetische Stimme zu verleihen.
Anna Maschik: „Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten“, Luchterhand, München, 240 Seiten, 23 Euro