Ein Leben von der Wiege bis zur Bahre stellt Tom Haugomat vor – und dazu passend gibt es ein Kontrast-Babybuch für die ersten Tage, das auch bei Demenzkranken hilfreich sein kann. Außerdem: das moderne Leben in 100 dreckigen Comics und die lustigste Chimäre dieses Bücherfrühjahrs.
Von Loriot ist die Feststellung überliefert, ein Leben ohne Mops sei möglich aber sinnlos. Der große deutsche Humorist hat dieses ulkige Tier auch deshalb in den Mittelpunkt zahlreicher Kurzfilme gerückt, mit seinen Mops-Hunden die Mondlandung nachgestellt und die Evolution vom angeblich einst gehörnten Wald-, zum zahmen Hausmops rekapituliert. Der Mops gehört zum deutschen Spießbürgertum wie die Corgis zur britischen Queen. Doch sind keine herausragenden Corgi-Gedichte bekannt, hingegen die lautmalerische Mops-Phantasie des Österreichers Ernst Jandls: “ottos mops trotzt / otto: fort mops fort”. Jandls Kollege Clemens J. Setz knüpft an diese Mops-Tradition an und stellt seinerseits eine mopsig-unbefangene Chimäre vor, den „Mopsfisch“. Mit sabberndem Hundsgesicht und wild umherschlagendem, schillerndem Makrelenschwanz wird dieser Mopsfisch von Illustratorin Stefanie Jeschke in kräftigen Farben gezeigt: bei tollpatschigen Szenen, die in kleinen Dreizeilern auf stets gleiche Weise vorgestellt werden: “Mopsfisch lila. / Mopsfisch rot. / Mopsfisch Luftballonpilot!“ Oder auch: „Mopsfisch losflieg. / Mopsfisch land. / Mopsfisch hängt in Efeuwand!“ Von der Wand geht’s auf große Reise. Mopsfisch sucht nun einen Ersatz für die geplatzten Luftballons. Er stellt sich dabei äußerst ungeschickt an. Kinder werden aus dem Staunen kaum herauskommen. Mit aufgeregter, fingerzeigender Dada-Geste folgt das Buch dem kleinen Mopsfisch bei allerlei Missgeschicken, die er mit einem Gymnastikball erlebt, beim Sturz in einen Gartenteich, wo Mopsfisch sich erschreckt, weil er einen andren Fisch entdeckt, mit Mopsfisch auf dem Karussell, bis er zwar keinen neuen Luftballon, aber – noch viel besser – ein gleichgesinntes Gegenüber trifft, das exakt so aussieht wie er selbst: „Mopsfisch HALLO! / Mopsfisch HI! / Mopsfisch Mopsfisch Nummer zwei.“
Clemens J. Setz’ „Mopsfisch“ ist ein Kinderbuch, allerdings kein Nebenwerk des Schriftstellers, sondern eine willkommene Ergänzung. Sprach- und Formenspiele, das hybridisierende Experiment mit Gattungen und Genres können hier – wie überall bei Setz – beobachtet werden. Auch den infantilen Ton diametral stehend zur strengen Formbegrenzung, hat der Autor bereits zu Twitterzeiten ausprobiert, über viele Jahre, bis er den Mikroblogging-Dienst verließ, auch weil die Zeichenbegrenzung aufgehoben wurde. Im archivarischen Twitteratur-Buch „Das All im eignen Fell“ aus dem vergangenen Jahr ist allerhand faszinierender Internet-Blödsinn. Darunter – wie passend – die Idee eines Kinderbuchs festgehalten: „Ein Mann breitet abends ein Tuch über den Vogelkäfig / Nachts kommt er daran vorbei und sieht ein Glühen dahinter / Er hebt das Tuch und sieht: Der Kanarienvogel strampelt / auf einem winzigen Fahrrad, das Licht erzeugt, / um in der Dunkelheit keine Angst zu haben“ – Humor ist selten in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, oft gehen Experimente schief. Clemens J. Setz’ „Mopsfisch“-Fabel hingegen: ist gelungen, leicht und albern, Literatur für Kinder, für Erwachsene, eine Veröffentlichung, die sich kreativ in die Kinderbuchsammlung so vieler anderer Georg-Büchner-Preisträger einreiht: von Felicitas Hoppes „Iwein Löwenritter“ über Hans Magnus Enzensbergers „Der Zahlenteufel“ bis zu Erich Kästners „Emil und die Detektive“-Klassiker. Jeder zweite große Schriftsteller kann hochklassige Literatur für Erwachsene und für Kinder schreiben. Auch der „Mopsfisch“ hat Klassikerformat. Man möchte wissen, wie es weitergeht mit dieser quirligen Chimäre und seinem gleichgesinnten Gegenüber, dem zweiten Mopsfisch, dem er am Ende des Buchs begegnet. Der letzte Dreizeiler macht Hoffnung auf mehr, denn: „Mopsfisch Mopsfisch. / Mopsfisch mag. / Mopsfisch. Mopsfisch neuer Tag.“ Clemens J. Setz (Autor), Stefanie Jeschke (Illustration): „Mopsfisch“, Insel, Berlin, 32 Seiten, 15 Euro, ab 3 Jahre – und für alle erwachsenen Fans
Vor wenigen Wochen hat die Zürcher „Edition Moderne“ einen Sammelband des „War and Peas“-Duos veröffentlicht mit fatalistisch-sarkastischen Comicstrips. Nun folgt das autofiktionale Zeichnungen-Tagebuch der Multimediakünstlerin Tara Booth aus Philadelphia: „Überwindungen – Leben und Überleben in 100 Comics“, von der New York Times als eine der acht „Best Graphic Novels of 2024“ ausgezeichnet. Im dreckigen Stil berichtet die Künstlerin aus ihrem modernen Twenty-Thirty-something-Leben: „Ich wünschte, ich könnte mich vervielfältigen und mit all den Menschen leben, die ich geliebt habe, aber verlassen musste.“ Aus der Einsamkeit reflektiert dieses selbstständig-unverbindliche Ich: über das „Fuckboy-Syndrom“ und Alkoholismus, wie „Trauma uns alle fickt“, über Depressionen, Narzissmus. innere Leere und „das Haare-im-Abfluss-Lasso“. Eine tröstliche Vermessung der Gegenwart, die versichert: Uns allen geht es nicht wirklich gut. Tara Booth: „Überwindungen — Leben und Überleben in 100 Comics“, aus dem Englischen von Christoph Schuler, Edition Moderne 400 Seiten, 26 Euro
Buchliebhaber stehen vor der stets gleichen Schwierigkeit, sobald Baby-Zuwachs im Bekanntenkreis angekündigt wird: Es gibt kaum Angebote für Kinder, die jünger als ein Jahr alt sind (Taufbibeln werden nur an äußerst christliche Familien verschenkt). Die beliebte Pixi-Reihe stellt in diesem Frühjahr ihr „Kontrastbuch Tiere“ vor, das aus klar abgesetzten Piktogrammen besteht, wie bei Verkehrsschildern. Die Sätze, die unter diesen Bildern stehen, sind nicht zum Vorlesen gedacht, sondern stattdessen Handlungsanweisungen für die Eltern: „Erzähle dem Baby, was auf dem Bild zu sehen ist“ oder „Kannst du das Buch fliegen lassen wie eine Libelle? Wie reagiert Dein Baby?“ In diesem Frühjahr ohne erhöhten Bisphenol A-Wert. Im vergangenen Jahr mussten einige Ausgaben der Reihe zurückgezogen werden. „Summ, summ – piep, piep. Imitiere Tiergeräusche.“ Brauchbar auch bei Demenzpatienten, so ein Hinweis von Nora Gomringer nach dem Bilderbuchposting vom 12. April. Igor Dolinger: „Mein erstes Kontrastbuch. Tiere“, Carlsen, 16 Seiten, mit Buggy-Clip, 4,99 Euro, ab 6 Monate
Einige der avanciertesten Filme („A Quiet Place“, „2001. Odyssee im Weltraum) und Bilderbücher („Der Baum und der Fluss“) funktionieren ohne oder mit sehr wenig Text, so auch die chice Graphic-Novel „Ein ganzes Leben“ vom Pariser Illustrator Tom Haugomat. Sie erzählt in mal ein-, dann wieder doppelseitigen Bildern vom Leben seines Helden Rodney: vom Fötus bis ins hohe Alter, ohne große Worte. Notiert werden Datum und Ort der Abbildung in dieser Geschichte eines Entdeckers, der im Juli 1969 die Mondlandung vorm Fernseher verfolgt, bevor er viele Jahre später selbst ins Weltall aufbricht. Als alter Mann wird er, der einst die unermessliche Weite kennengelernt hat, seinen Blick wenden, in den letzten Lebenstagen demütig in die Natur schauen, zum Allerkleinsten. Er beobachtete mit der Lupe die winzigsten Wesen unseres Planeten. Das ist ebenso minimalistisch, aber gelungener erzählt als der gleichnamige Roman von Robert Seethaler (mit dem dieses Buch nichts zu tun hat). Tom Haugomat: „Ein ganzes Leben“, Helvetiq, 176 Seiten, 24 Euro