Tanz‘ den Jimmy Glitschi

Was König Midas anfasste, wurde zu Gold. Bei Sascha ist es ähnlich. Jede Frau, die er anfassen will, wird zur besten Freundin. Jakob Heins neuer Roman erzählt von Breakdance, gebrochenen Herzen und Punk in der DDR.

Eine 80er-Jahre-Jugend war in der Deutsche Demokratischen Republik kein Pappenstiel. Alles war kaputt, nichts funktionierte. “Wenn etwas nicht klappte, brüllte man: ,So ein Osten!‘ und wenn etwas gut war, sagte man gern: ,Das ist ja wie im Westen.‘” Sascha wäre zu einen gern ein Punk und zum anderen ein richtiger Freund, einer zum Küssen und so. Aber beides geht gründlich schief, weil sich die West-Oma ständig “Modern Talking”-Platten aufschwatzen lässt, und nicht die bestellte Platte von “The Clash”, sondern von Johnny Cash anschleppt.

Bei den gleichaltrigen Damen läuft‘s auch mäßig: “Ich versuchte, Noras Liebe zu gewinnen, indem ich ihr immer ein verständnisvolles Ohr lieh, wenn sie mir von ihrer Liebe zu Udo Burgstetter erzählte.” Man möchte sich beim Lesen die ganze Zeit vor den Kopf schlagen. Sascha stellt sich einfach dämlich an. Lediglich als „Frauenflüsterer“ feiert er Erfolge. “Ich hatte so viele beste Freundinnen, dass ich längst den Überblick verloren hatte. ich kam mir vor wie eine Art tragischer König Midas. Sicher war König Midas schon an sich ein tragischer Held gewesen, aber während bei ihm alles, was er anfasste, zu Gold wurde, wurde jede Frau, für die ich mich interessierte, zu meiner besten Freundin.”

Denn wenn es ums Küssen geht, schmeissen sich die Girls lieber an besoffene Discopenner, nicht an dieses Weichei, das auf “New Romantic” macht, einer Gruftie-Spielart, nur eben mit weißem Hemd. “Was den Frauenmarkt betraf, war ich das Pendant zu einer steinalten Hafendirne, die nachts in der Nähe der Fischkonservenfabrik steht und hofft, dass sich durch die Gnade der Dunkelheit ein Freier in ihr Revier verirrt. Daher konnte ich nicht wählerisch sein, gegessen wurde, was auf den Tisch kam.”

Sascha muss in Jakob Heins Roman viele Jahre Hausmannskost essen. Angetrieben wird er von seiner vergeblichen Liebe Sarah. Sarah sitzt in der Informatik AG neben ihm. Gemeinsam speichern sie erste Programmierversuche “unter lautem Fiepen und Brummen” auf MCs. Richtige Mixtapes mit “Frankie Goes To Hollywood”-Musik lässt sich Sarah dagegen lieber von anderen Typen brennen. “Sarah war wie eine wunderschöne Rose, die auf einem Misthaufen blühte.” Leider blüht sie nie für ihn, weshalb der Teenager nach vielen freundschaftlichen Treffen konstatiert: “Seit zwei Jahren war ich Sarah treu ergeben und hatte ihr eine endlose Prozession anderer Männer verziehen, ohne dass ich selbst auch nur ein winziger Teil dieser Prozession gewesen wäre.”

Deshalb zieht Sascha los, auf eigene Faust, um auf gammeligen Punk- und Ska-Konzerten Anschluss zu finden. Langsam, ganz langsam läuft sein Liebesleben an, bis er nach einer besonders heißen Nacht mit der endcoolen Peggy feststellen kann: “Ich hatte den allerbesten Sex meines Lebens gehabt, was sicherlich auch daran lag, dass es für mich seit langem wieder einmal Sex in Anwesenheit einer anderen Person gewesen war.” Dummerweise hat Peggy nicht aus Leidenschaft mit ihm gepennt. “Ich hatte keinen Bock mehr auf diese Kinderfeier und wollte noch ein bisschen Sex, aber nicht zu viel und nicht zu hart”, klärt die Rockerbraut ihren One-Night-Stand auf, “und da habe ich da habe ich dich da stehen sehen und wusste: “Das ist genau das Richtige.”

Komplimente, die niemand hören will. Jakob Heins Roman ist ein Füllhorn abstruser Freundschafts- und Nach-Sex-Beteuerungen, allesamt schal für Sascha – und deshalb umso amüsanter für die Leser. An vielen Stellen erinnert “Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand” an die weniger durchgeknallten DDR-Jugenderinnerungen von Thomas Brussig, an “Sonnenallee” oder “Wasserfarben”. Nebenbei erfährt man eine Menge über die Breakdance-, Streetstyle- und Mixkassettenkultur der Vorwendezeit – und welche Auswirkungen ein selbst erfundener Kindergartentanz nach der Wende in einer westberliner Disco haben kann.

”Jimmy Glitschi” nennt Sascha seine Choreographie, die für Aussenstehende wie ein Krampfanfall ausgesehen haben muss: “Ich bewegte meine Gliedmaßen im Takt der Musik, allerdings jeden meiner Arme, jedes Bein in einem eigenen Rhythmus, die Augen hinter den Brillengläsern fest geschlossen und den Mund leicht geöffnet.” – Allein für diesen Moment wünschen wir uns schnell eine Verfilmung des Romans. “Tausend Freundinnen, aber keine einzige Freundin, wenn du verstehst, was ich meine.” – Wir verstehen.

(Jakob Hein: „Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand“, Piper, 176 Seiten, 8,95 Euro)

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