Rezension: Deep & Purple

Die Rolling Stones machen schließlich auch weiter: Fünf Kerle aus dem Abijahrgang 1982 gründen eine Rockband und entfliehen ihrer Midlifecrisis. Frank Goosen meldet sich mit dem sentimentalen und schönen Musikroman „So viel Zeit“ zurück. 

Konni, Thomas, Rainer und Bulle treffen sich regelmäßig zu bierseligen Doppelkopfrunden. Das klingt trist, und bezeichnenderweise fängt das erste Kapitel mit dem Satz „Konni bekam keinen Stich“ an. Diese Feststellung passt gut zur gegenwärtigen Lebenssituation dieses müden Quartetts. Eigentlich kriegen sie alle keinen Stich. Der Kuchen ist verteilt, die Krümel werden knapp. Erwartbare Schicksalsschläge, Tod der Partnerin, Scheidungen, Ehekräche haben sie auf bürgerlichem Niveau gemeistert.

Jetzt besitzen die alternden Kerle „So viel Zeit“. Die Clique langweilt sich und sie entwickelt krude Sehnsüchte. Die vier erinnern sich an einen alten Kumpel, geraten ins Schwärmen. „‚Mit Ole‘, dachte Konni, ‚wären wir wieder Deep Purple.'“ Aber Ole ist im Osten Berlins untergetaucht, lebt von Hartz IV, wurde von der Mutter seines Kindes getrennt und was mal Charisma war, ist längst im Lebenssumpf versickert.

Trotzdem ist Ole der abwesende Held der Runde, der einsame und gerade deshalb bewunderte Wolf dieses Romans. Ole repräsentiert das Andere, er steht für das Echte, nicht das Kartenspiel. Deshalb fahren die Herren, Frank Goosens Debüt „Liegen lernen“ lässt grüßen, nach Berlin. Raus in eine andere, in eine verheißungsvollere Welt. Denn sie wollen es noch einmal richtig krachen lassen. Mit Anlauf und Handbremse zugleich. Sie schaffen es nämlich nicht allein. Sie brauchen eine Eintrittskarte, die hier eben Ole heißt.

Der alte Freund soll als Bandleader Rockerherzen höher schlagen, Frauenbeine weich werden lassen und für Leben in der Bude sorgen. Während die Familien daheim meutern, bereitet sich in der Hauptstadt das neue Leben vor. Und wenig später wird Mountain Of Thunder geboren, eine dröhnende Kapelle, die schmerzfreie Jugendzentren und renitente Tennisclubs erstürmen will. Der zweite Frühling beginnt – kurz vor dem Herbst.

„So viel Zeit“ ist kein Aufguss altbekannter Bandgründungsgeschichten. Frank Goosens Buch ist sein bester Roman seit „Liegen lernen“, weil hier sein bekannter und lang vermisster Witz mit sehr viel Melancholie kombiniert wird, weil die Geschichte bis zum überraschenden Ende wehmütig bleibt. Wenn die Freunde (großartige Szene) im Musikgeschäft teures Equipment für’s brav erarbeitete Geld erstehen ist das natürlich komisch, auf der einen Seite.

Auf der anderen wirkt es wirklich rührend, wie hier vier Männer mit Jugendträumen, ergo der teuren Gitarre, konfrontiert werden. Die Auftritte sind stark überzeichnet, oft im Lokaljournalismusjargon kostenloser Wochenzeitungen verfasst. Da rollen Töne, kracht der Bass. Und doch ist das alles nicht abgeschmackt und billig. „So viel Zeit“ ist das große Leben für den kleinen Mann – trotzdem würden nur Zyniker „Trostpreis“ dazu sagen.

Frank Goosen: „So viel Zeit“, Heyne, 384 Seiten, 8,95 Euro / Hörbuch bei Tacheles 

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