Rezension: Charlotte Roche bei Wetten, Dass..?

Wenn man die Persönlichkeitstest von neu.de, den Arbeiterstrich, das SAT.1-Trashformat „Auf Brautschau im Ausland“ und die „Ent(b)rüstung wegen Nackt-Talkshow“ zusammendenken und heraus kommt der tolle Roman „Kauft Leute“ von Jan Kossdorff.

Sie werden vor ihrem Arbeitseinsatz auf Herz und Nieren geprüft und müssen sich sogar in den Mund schauen lassen, schließlich könnten ihre Zähne faulig sein. Ausnahmsweise ist nicht von jenen Gastarbeitern die Rede, die in den 1960er Jahren vornehmlich aus der Türkei nach Deutschland gelockt, in Wohnheimen untergebracht und schikaniert wurden. Jan Kossdorfs schräg-düsterer Roman „Kauft Leute“ spielt in der nahe Zukunft und der Menschenhandel mit Türken, Polen, Sachsen, Salzburgern ist ebenso üblich wie heute der Kauf eines Mittelklassewagens. Der sehr seltsame Menschensupermarkt „Hümania“ bietet in vergitterten, von Security bewachten Verkaufsräumen „sensationelle Angebote“. Gerade eröffnet eine Filiale vor den Toren Wiens.

Jeder Kunde, der zehn- oder auch zwanzigtausend Euro in der Tasche hat, kann einen der Hümania-Märkte besuchen und aus den angebotenen „Human Ressourcen“ auswählen. Gegen einen Festbetrag nimmt er beispielsweise die talentierte Trompetenspielerin „Trompetra“, einen eilfertigen Chauffeur, oder die „rassige Schwarzhaarige, Verwöhn-Typ, auch als Gesprächspartner reizvoll“ mit nach Hause. Wer keinen Freund hat, der sucht ihn hier im Ikea-Ambiente. Die Hümania-Konkurrenz heisst „Girls in Boxes“, „Top-Thai-Teen“ oder auch schlicht „Femina“. – In der Wiener Großfiliale heuert die arbeitslose Caro als Texterin an. Sie soll das Menschenmaterial mit schönsten Slogans und Gebrauchsanweisungen versehen, gerät aber schnell in eine moralische Achterbahn – was für Werbetexter bis in die 1990ern noch absolut untypisch schien. Moral? Das hat nichts mit den Agenturen in Frédéric Beigbeders „39,90“ oder mit „Sterling Cooper“ aus Mad Men zu tun. Aber deshalb ist es besonders überraschend, eine moralische Person in diesem ekelerregenden Hümania-Ambiente zu sehen.

Denn die modernen Sklaven sind nur halbfreiwillig im Showroom dabei. Sie haben sich verschuldet und müssen nun ihre Haut zu Markte tragen, um nicht im Knast zu landen. Darunter ist ein Zwangsarbeiter, der von einem verwöhnten Oberschichtsmädchen in den Frondienst übernommen wird – als galantes Geburtstagsgeschenk für die aufgetakelte Frau Mama. Der Typ ist Diener, Lustbringer, Spielgefährte, Partyanimal, Animateur. Doch er hat keine Wahl. Würde er abhauen, würde ihn Hümania irgendwann ja doch aufspüren und direkt ins Gefängnis werfen lassen. Das sind also nicht die Sklavendienste, die in „Shades of Grey“ schwülstig inszeniert wurden, sondern eher die westeuropäische Version der Sweatshop-Leibeigenen, die in unsicheren Fabriken Kik-Klamotten für den Weltmarkt nähen. Ende April sind beinahe tausend Arbeiter beim Einsturz einer dieser Textilfabriken ums Leben gekommen. „Das Unglück in Bangladesh ist natürlich unfassbar, und dann auch wieder nicht, wenn man weiß, dass 90 Sicherheitsinspektoren 25000 Fabriken gegenüberstehen“, sagt Jan Kossdorf im Interview. „Die Textilindustrie mogelt sich weiter durch. Alle ereifern sich über Abercrombie & Fitch, weil keine Dicken in ihren Klamotten wollen. Aber der wahre Skandal ist die Weigerung, existenzsichernde Bedingungen für die Arbeiter zu schaffen. Das geht wieder mal dezent unter.“

Der Roman greift den Skandal von Produzenten- und Warenseite aus. Einerseits wird gezeigt, wie sich Caro immer tiefer in die Machenschaften ihres Arbeitgebers verstrickt und bei jedem neuen Schritt einen weiteren Selbstbetrug erfindet, um ihre Tätigkeit zu rechtfertigen. Die andere Seite, die des veräußerten Schönlings, entwickelt sich zu einer neuen Version von „Oliver Twist“. Der wird als armer Mensch auch von Ausbeuter zu Ausbeuter herumgereicht und jedes Mal wenn man denkt, er habe endlich die Kurve gekriegt, geht alles fürchterlich schief. Es fällt leicht, sich vorzustellen, wie „Kauft Leute“ funktioniert.  Denn ob Arbeiterstrich, brasilianische Sklaven, Ausbeutung in der Textilindustrie oder deutsche 1-Euro-Jobs: Das Prinzip „Hümania“ grassiert. Dass die Welt ein Supermarkt ist hat bereits Michel Houellebecq in Romanen wie „Ausweitung der Kampfzone“ gesehen. Auch Chuck PalahniucksFightclub“ ist ein Aufstand gegen die Unterdrückung der einfachen Arbeiter. Auf der slaveryfoodprint-Seite kann jeder selbst errechnen lassen, wie viele Sklaven für seinen Lebensstandard schuften. Für den philosophischen Background sorgt Giorgio AgambensHomo sacer“. Aber bei Kossdorf ist dann doch alles anders, als vermutet. Es ist anders als „Subs“ von Thor Kunkel, es ist anders als das Werk von Michel Houellebecq. Es hat einen eigenen Ton, eigene Ideen und es ist leider: Verdammt nah an der Realität. Denn man muss sich nur einmal durch den Kopf gegen lassen, wie viele Wörter das Deutsche für das Verhältnis zwischen Herr und Diener hat, dann wird einem erst mal klar, wie sehr dieses Mentalität in uns allen verankert ist.

Jan Kossdorf: „Kauft Leute“, Milena, 252 Seiten, 21,90 Euro

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