Abreibungen und Abtreibungen

Der Bonner Autor Dorian Steinhoff schreibt in seinem schonungslosen Debüt „ Das Licht der Flammen auf unseren Gesichtern“ über Machetengangs, Abtreibungen, Psychoknirpse und Junghartzer. Und er macht das grandios.

Bevor es losging bekam Dorian Steinhoff, 1985 geboren in Bonn, erst einmal einen Pokal. Für eine der Geschichten aus „Das Licht der Flammen auf unseren Gesichtern“ wurde ihm 2012 der Georg-K.-Glaser-Literaturpreis verliehen. Vielleicht hat das im 1LIVE Sktor nicht jeder mitbekommen. In Trier hat Dorian Steinhoff studiert, Literaturveranstaltungen organisiert und viele, viele Menschen beobachtet, die ihn zu seinen sieben Erstlingsgeschichten inspiriert haben dürften. Jetzt legt er wieder in NRW, hat das Kölner Rolf-Dieter-Brinkmann-Förderstipendium 2014/15 erhalten.

Laue Szenen gibt es bei ihm nicht. Er schreibt über einen psychotischen Jungen im Babysittingalter, der sich auf geradezu unheimliche Weise in seine erwachsene Nachbarin verknallt, sie beschattet und bestürmt, Haarlocken erbittet und sie beim Pinkeln beobachtet. Man findet sich in einer Irren-Wohngemeinschaft wieder, auf den Fluren der „Agentur für Arbeit“, wo ein Unter-25-Jähriger „auf Essensgutscheine“ herabgestuft wird.  –Seltsame Gestalten schleichen durch dieses Buch: Mietnomaden, Bandengangster, ätherische Mädchen und besoffene Fußballväter mit manisch-besoffenem Ehrgeiz („ihr spielt wie schwule Mädchen“).

Dorian Steinhoff findet Bilder, in jeder seiner Geschichten. Es sind Bilder, die das komplette Dilemma in eine programmatische Szene packen. Da rutscht ein deutsch-türkischer Underdog aus Berlin-Moabit vom Elternhaus in die Kriminalität, von dort in einen Fußballverein der dritten Liga, wieder zurück ins Nichts. Das alles wird bereits angedeutet durch eine harmlos klingende, im Rückblick erschütternde Kindheitsrerinnerung.  Er und Kumpel Bülent sind noch in der Grundschule, vierte Stufe, Marienkäferklasse da „machte Bülent Titten aus den Punkten von dem großen Marienkäfer, der an unserer Klassenzimmertür hing. Er zeichnete um jeden Punkt auf dem Rücken des Käfers einen Kreis, und weil ich sagte, man erkenne überhaupt nicht, was das sein soll, schrieb er in seiner Kinderschrift ,Tittenkäfer‘ oben drüber, Titten schrieb er nur mit einem ,t‘.“

Das reicht. Von da an geht es „Rolltreppe abwärts“, nur haben Dorian Steinhoff Stories keine pädagogische 70er-Jahre-Moral wie das gleichnamige Jugendbuch „Rolltreppe abwärts“ von Hans-Georg Noack. Ein Traum geht zu Ende.  Das Ende ist ohnehin Thema dieses Bandes. „Vor zehn Tagen kam ich nach Hause und Anne sagte: ‚Ich bin schwanger.‘ Das war das erste und letzte Mal, dass sie diese Worte aussprach.“ Denn Anne hat in der Geschichte „Wenn es sein muss“ beschlossen, das Kind abzutreiben. „Fest steht, es muss gemacht werden und es wird heute gemacht. Anne hat den Termin, sie hat ihn heute und nicht morgen, und sie wird da hingehen und dann saugen sie den Embryo aus ihr raus. Sie wird alleine gehen.“

Ein Paar steht sich wie fremd gegenüber. Das dazugehörende Bild: „Einer unserer großen Pasta-Teller ging kaputt, es war der letzte, den wir hatten. Es waren mal vier, alle kaputt. Ich ließ ihn fallen, als Anne ihn mir anreichte. Die Scherben sprangen auf den Boden in alle Richtungen, Anne fluchte laut und warf mir vor, schrecklich ungeschickt zu sein. Später kochte ich mir Nudeln und aß von einem flachen Teller, Anne sah mir schweigend beim Essen zu, danach ging sie ins Bad.“ Die Scherben, die Formen, die nicht mehr zusammen kommen, immer wieder sind es Formen, die gesucht werden: Eine Urlaubsbekanntschaft stirbt in Südostasien, aber die anderen Reisenden (sie haben zufällig zueinander gefunden) wissen nicht, wie sie trauern, wem sie kondolieren sollen, sie kennen nicht einmal die Bedeutung der zurückgelassenen Gegenstände. „Wäre er unser Freund, Ehemann, Vater gewesen, jedes Brandloch, jeder neu angenähte Knopf hätte uns eine Geschichte zu erzählen gehabt. Es gab kein Hadern, keine Rückblicke. Keine Flecken, die ich kannte. Nichts davon. Nur Material.“

Dorian Steinhoff: „Das Licht der Flammen auf unseren Gesichtern“, Mairisch (2013), 172 Seiten, 16,90 Euro

Hier geht es zum 1LIVE Plan B-Beitrag mit Moderatorin Christiane Falk

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1 Kommentar

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