Zombies vs. Vampire

Jährlich veranstaltet 1LIVE seine Jubiläumstage und schaut in die Popgeschichte zurück. Am kommenden Dienstag gibt es Musik, Filme, Geschichten, Erinnerungen an 1993 – dem Jahr des Attentats auf Monica Seles, der Leichtathletik-WM in Stuttgart (die ich damals als junger Athlet des Barmer TV am Fernsehen verfolgt habe), selbst IRA-Bombenanschläge gab es damals noch – und zwei Schriftsteller standen ganz besonders im Licht der Aufmerksamkeit: John Grisham und Irvine Welsh.

Geht man allein vom Publikumserfolg aus ist John Grisham „Schriftsteller“ des Jahres 1993, noch vor „Jurassic Park“-Autor Michael Crichton. Der stand 1993 mit etlichen Justizthrillern gleichzeitig auf den Bestellerlisten – weltweit. Dazu gehören sein Durchbruchserfolg „Die Firma“, der Rachethriller „Die Jury“ und „Die Akte„. Ich erinnere mich, dass ich damals über 40 Mark von meinem Taschengeld sparen musste, um einen dieser fetten Schinken kaufen zu können.  Die Justizbestseller von John Grisham sind damals  alle verfilmt worden, mit den Superstars der Frühneunziger wie Tom Cruise, Julia Roberts, Sandra Bullock, Denzel Washington – und wer sich „Die Firma“ (Regie: Sydney Pollack) heute ansieht (dafür ging eine Hälfte meines Sonntages drauf), der trifft sich mit einem eher biederen, wenig raffinierten Plot. Dennoch sind die Filme allesamt besser als die Bücher. Damals habe ich nicht so verstanden, wie schlecht John Grisham eigentlich ist. Der vermutlich selbst nicht allzu raffinierte Erfolgsautor Sol Stein (ich habe erfolglos versucht seinen Roman „Der junge Zauberer“ bis zum Ende zu lesen) antwortet dazu in seinem Creative-Writing-Klassiker „Über das Schreiben“ auf mehreren, durchaus unterhaltsamen Seiten:

„John Grishams Erfolgsroman Die Firma beispielsweise ist eine pubertäre Fantasie, die Geschichte eines jungen Anwalts, dem unmittelbar nach Beendigung seines Jurastudiums eine hochbezahlte Stellung, ein teures Auto und ein Haus geboten werden und der bald darauf erkennen muß, daß er – was sonst – für die Mafia arbeitet, die ihn nun nicht mehr aus ihren Fängen läßt. Der Rest ist eine einzige Verfolgungsjagd. Der Markt für pubertäre Fantasien ist nachweislich gewaltig, und er schert sich wenig um die Qualität des Geschriebenen. Mitch ist der in Bedrängnis geratene Held dieser Fantasie: „Mitch hatte fast Mitleid mit ihr, aber seine Augen ruhten auf dem Tisch.“ In einer einer Schachtel? Was auf dem Tisch ruhte, war vermutlich sein Blick. (…) Während einer Geschäftsreise wird Mitch, der glücklich mit Abby verheiratet ist, Objekt der Verführungskünste einer Frau namens Julia. Das liest sich so: „Julia himmelte ihn mit offenem Mund an und rückte noch näher heran. Sie rieb ihre Brüste an seinem Bizeps und bedachte ihn mit ihrem verführerischsten Lächeln, aus allernächster Nähe.“

Ds ist dann wirklich nicht mehr allzu weit von den Lassiter-Pornowestern entfernt, die es für anderthalb Euro im Zeitschriftenhandel gibt. Bemerkenswert ist aber, wie hier der American Dream der 1980er Jahre ausgestellt wird und wenn man ein paar Ecken weiter liest „Sag Ja zum Leben. Sag Ja zum Job. Sag Ja zur Karriere. Sag Ja zur Familie. Sag Ja zu einem pervers großen Fernseher“, könnte das aus dem Grisham-Buch stammen, ist aber tatsächlich der Trailer-Anfang von „Trainspotting“, gedreht nach dem Roman Irvine Welshs, bei dem man direkt das Bild mit Ewan McGregor in der Kloschüssel vor Augen hat.. Trainspotting ist eine Drogengeschichte. Sehr dreckig, britisch, rau. Nur zunächst überraschen also die beiden Gegensätze geschniegelter Anwaltsthriller vs. Slacker. und Junkie-Epos. Genauso gut könnte man sagen: Die Firma ist Techno und Trainspotting Grunge – zwei musikalische Phänomene der 1990er Jahre. Amerikanischer Glamour und britischer Drogenabsturz, das distinguierte Yuppietum der Achtziger gegen die neoliberale Realität, Vampire und Zombies, noch einmal die Mafia als Familie und die Clique als Familienersatz. „Trainspotting“ wird bleiben, „Die Firma“ wird sogar in der itunes-Videothek für 2,99 in SD-Qualität verramscht.

(John Grisham: „Die Firma“, „Die Akte“, „Die Jury“ und Irvine Welshs „Trainspotting“ sind alle bei Heyne im Taschenbuch erschienen und kosten 9,95-9,99 Euro)

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1 Kommentar

  1. […] Daths/Swantje Karichs Lichtmächte, über Die Rezension des Lebens (aus der Balla Triste), über Trainspotting und John Grisham (für 1LIVE), sowie über Filmisches Erzählen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur der […]

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