VIER x 30 Minuten

An diesem Samstag wird der Preis für den ungewöhnlichsten Buchtitel des Jahres auf der Leipziger Buchmesse vergeben. Ich werde ab 16 Uhr die Veranstaltung des Preisstifters „Was liest Du?“ moderieren (Halle 5, Stand D600). Die Jury besteht neben meiner Wenigkeit aus: Sascha Chaimowicz (stellvertretender Chefredakteur NEON Magazin), Oliver Kalkofe, Jürgen von der Lippe, Anne-Mette Noack (Leitung Marketing Börsenverein des Deutschen Buchhandels) Joscha Sauer und Oliver Zille (Direktor der Leipziger Buchmesse). Unter anderem nominiert ist ein kleiner Band der Hamburger Literatur Quickie-Reihe (das passende Beitragsbild hat mir die wunderbare Sophie Weigand von Literatourismus geschenkt), nämlich Dirk Bernemanns „Die Einsamkeit des Fliesennobelpreisträgers“. Die Story besteht aus 25 Pixibuchseiten und kann leicht innerhalb von 30 Minuten gelesen werden. Anlass genug, um die beliebte VIER x-Reihe um eine Auswahl kurzer Bücher zu ergänzen, die allesamt in weniger als 30 Minuten gelesen werden können. Den Anfang macht ein Kölner Verlag:

Cover-Cici-LettersWer jemals eine heiße Ware aus Fernost bestellt und beim Zoll am Ende der Stadt hat abholen müssen (wie diesen von Bachmann-Preisträger Tex Rubinowitz empfohlenen Phone-Jammer), der weiß, welche Nerven einem derartige Warenorder kosten können. Der 1981 geborene Kölner Künstler Benjamin Tillig hat vor vier Jahren einen Internet-Briefroman geschrieben, in dem ein genervter Held, der zufälligerweise auch Benjamin Tillig heisst, eine Akkubestellung in China reklamiert. Die Batterie ist nie angekommen. Via E-Mail, Ebay und PayPal sucht Benjamin nach einer Lösung und bekommt automatisierte Antworten von scheinbar empfindsamen Maschinen und von der chinesischen Callcenter-Angestellten “Cici” (genau, wie die Kurzformel von Carbon Copy). Er will sein Geld zurück. Sie möchte einen neuen Freund gewinnen, sie ruft frühmorgens an, sie möchte ihren Job “besonders gut” erledigen, sie möchte helfen und korrigieren und macht dabei alles noch viel schlimmer. Dieses hauptsächlich im globalisierten Pidgin-Englisch verfasste Büchlein erinnert an Franz Kafka, Woody Allen und an Jacques Tatis tappsige Filmfigur Monsieur Hulot (Play Time). Bizarr. Benjamin Tillig: “Cici Letters”, StrzeleckiBooks, Köln, 112 Seiten, 14,80

31QSPEm19OL._SX258_BO1,204,203,200_“Liebe Leser, wer kennt das nicht? Kite-Surfen, Ski und Waterboarding: Die Hitliste der Glücklichmacher ist lang lang.” Ole Wagner, der mit diesen Sätzen das erste Hablizel Pixi-Buch für Erwachsene vorlegt betet hier das “Kater unser”, berichtet von Justin Timberlake und seinem Fisch-Drink “Molke 7″, zitiert die Beatles beinahe richtig (“Here Comes The Son”) bis zum “jüngsten Gesicht”. Verleger Markus Hablizel, bekennender Fan von, Zitat: “Kraftwerk, Bambaataa, Robert Hood, Detroit, Oval, Basic Channel, Dopplereffekt, Daft Punk, Isolée, Actress, Farben, Fancy Mike, Jai Paul etc.pp” und Spex-Redakteur a.D. (2001-2006) startet mit diesem fröhlich bebilderten Gaga-Unsinn die 4,90-Euro-Reihe “small parts isolated and enjoyed”. Er wird unterstützt von “Lenin 2.0″ Dietmar Dath:

SmallParts_DathCoverDer dechiffriert die Jugend: “Die Geburt eines zweiten Kindes verändert für das Erstgeborene das gesamte Wohnumfeld. Dinge, die bislang okay waren, etwa das Spielen mit Blut oder das Anzünden der Nachbarskatze, müssen auf einmal aus Rücksicht auf das Geschwisterchen unterbleiben”, und erzählt in knappen Texten von Kleinstadtklatschnazis, von Babys, die als SPD-Politiker zur Welt kommen, von Nachhilfeclowns in Tierkostümen und er stellt resigniert fest: “Einen Vierjährigen zu erpressen, ist gar nicht so leicht. Morddrohungen, Nacktfotos, Lügen: Das steckt der weg, als wäre es aus Watte.” – “Ein wahrer Meister seiner Zunft.” (Gunter Gabriel). Dietmar Dath: „Eisenmäuse“ und Ole Wagner: „Der Schimmelweiter„, je 4,90 Euro. Musste leider eingestellt werden.

Die-Einsamkeit-des-Fliesennobelpreistragers-9783945453001_xxlDirk Bernemann, geboren 1975 im westlichen Münsterland, stellt sich vor: „Kein Abitur, keine Ausbildung, keine Preise, keine Stipendien. Dafür seit er imstande ist: schreibend. Heute lebt und ‚arbeitet‘ er in Berlin.“ Auch wenn es der Titel vermuten lässt – die Story ist keine Comedy. Erzählt wird von zwei Freunden, die einmal in der Woche nach dem Freizeitkick (Vier gegen Vier) abhängen und Sterni trinken „und es fühlt sich an wie besoffen mit ausgebreiteten Armen Oasis singen, also gut und richtig.“ Der eine ist tatsächlich Fliesenleger, der andere ein gerade in Berlin angekommener Schriftsteller, der von eben diesem Ankommen erzählt und von Orientierungsversuchen, dem Festhalten an einer ersten Freundschaft in der neuen Stadt, von Melancholie, Enttäuschung und der Metropolen-Einsamkeit. Literatur Quickie Nr. 73, 32 Seiten, 2,50 Euro

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