Mediengeile Ehrensoldamazonhuren (und B. Wulff)

Geklaute Tweets, ungeschriebene Atzen-Regeln, Anbagger-Bücher („Das Playbook“), peinliche SMS, „Die fabelhafte Welt der Leichen“ und „Die Vorwürfe. Die Gerüchte. Der Rücktritt. Die Zukunft“ oder auch demnächst „Mein Leben als Chef von Deutschlands edelstem Bordell“. – Coupé ist eine deutschsprachige Zeitschrift mit inhaltlichem Schwerpunkt auf Unterhaltung und Erotik. Zielgruppe sind Männer im Alter von 16 bis 49 Jahren. Inhaltlich geht es neben Erotik vor allem um Entertainment, Abenteuer, Technik und Autos. Die Coupé erscheint monatlich (jeden letzten Freitag im Monat).

Was in der Wikipedia über die Coupé geschrieben wird, gilt nicht weniger für den Münchner riva-Verlag, der seit Wochen in Schlagzeilen, Bestsellerlisten, Blogs und Fernsehsendungen herumgeistert. 2004 von Christian Jund als Imprint des FinanzBuch Verlags gegründet, etablierte sich riva im Buchmarktsegment preiswert produzierter Schnelldreher. Es sind Bücher. Bücher werden von Literaturjournalisten besprochen. Ab hier beginnen Probleme – und Phänomene.

Für mich sind Verlage wie riva, Schwarzkopf & Schwarzkopf, Anais eine Herausforderung. Schließlich kann man nicht permanent die Tür zuhalten, wie es die SPIEGEL-Bestsellerliste mit ihrer Vorauswahl handhabt – oder wie es Horrorfilme im Umgang mit Zombies althergebrachter Art lehren. Auch wäre es publizistisch ignorant, einfach einen Bogen um True Crime, Trash-Boulevard, Sex sells zu machen, nur weil man selber lieber den neuen Kurzgeschichtenband von Dietmar Dath, „Zwei Seiten der Erinnerung“ von Volker Dittrich oder endlich den neuen David Mitchell lesen mag. – Deshalb lese ich von Philipp Lahm bis zum S&M-Insider immer wieder Gebundenes, das ich niemals kaufen würde – weil ich für dieses Geld die neue Two Gallants oder einen Multiplexabend mit „Bourne ohne Bourne“ leisten könnte.

Nur: wie geht man um mit Werken, die per definitionem (Papier, epub etc.) zur Rubrik „Bücher“ gehören, aber selbst im extrem zugewandten Popabendprogramm von 1LIVE Plan B niemals eine Chance hätten (da zu trashig, unhip, egal)? – Es gibt zwei Möglichkeiten: Den Überblicksbeitrag der Art „gerade lesen alle Vampir-/Sex-/Fußball-/Gossip-Bücher – warum?“ bzw. „Was ist dran an Twitterature/ Blogliteratur/ Handygedichten?“ oder die schnelle Facebook-Blog-Twitter-Meldung, die im Vorbeigehen ohne tieferen Sinn das Thema antippt, abhakt, aus dem eigenen Kopfgerümpel entsorgt. Das Schöne an Tagebüchern, Posts und Logs ist die Gedankenhygiene. Was in Linien geschrieben steht, kann aus dem Hirndiskurs entfernt werden.

Aus diesem Grund wird über Bettina Wulffs „Jenseits des Protokolls“ nicht überall in großen Vorab- und Pseudorezensionsgeschichten berichtet, sondern das Phänomen als solches eben schnell angetippt. Die Google-Debatte, mit der alles anfing, wurde zum Teil tiefer debattiert, wie in Stefan Niggemeiers „Barbra Wulff?“-Artikel. Freude brachte in dem Zusammenhang, die Verbindung „Name + Escort“ ins Google-Fenster einzutragen und Bekannte zu triggern mit dem simplen Trick „Jo Landle Escort“ zu schreiben, sodass der Algorithmus fragen konnte „meinten Sie: Jo Lendle Escort“? Was Jo Lendle, Verleger des DuMont-Buchverlags aus Köln zu Google-Screenshots der Art „Günther Jauch will bloß selber mal aber nicht mit dem würde ich nichtmal für geld“ verführte (unter dem Motto „Frau W. schlägt zurück“).

Als dann erkannt wurde, dass es mitnichten um Algorithmen und Persönlichkeitsrechte geht, sondern um eine PR-Kampagne, die flankierend zur eigenen Persönlichkeitsrechtsverletzung gestartet wurde, wendete sich das Blatt und Amazon wurde als Spielfläche okkupiert. Zuerst wurde das Buch selbst mit Tags wie „Ehrensold“, „wen interessiert’s“, „Hure“ und „mediengeil“ versehen. Als Frau Wulff dann einschritt, diese Obszönitäten löschen liess, wurde der Spiess umgedreht und Bücher wie „Abenteuer Hure: Prostitution als heimliches Hobby“ mit dem Tag „Bettina Wulff“ versehen.

Es war der schnelle Versuch, Öffentlichkeit mit Öffentlichkeit zu parieren – ob die ehemalige First Lady als Escort-Girl gearbeitet hat oder nicht: Ist 2012 herzlich egal. Große Diskussion. Darf man das dennoch, sich über Indiskretionen lustig machen, die vom „Betroffenen“ selbst weitergetragen werden? (Glaubt irgendwer tatsächlich, dass sich eine verschämte junge Dame im Allerinnersten verletzt sieht? – während sie zugleich „Die Gerüchte“ als 19,99-Euro-Produkt lanciert?) Muss man in einem derartigen Fall konstruktiv diskutieren?

Seit zwei Tagen frage ich mich, ob ich als Literaturjournalist für „Jenseits des Protokolls“ zuständig bin, nur weil es auf der Buchhandelspalette liegt und eine ISBN zugeteilt bekommen hat. Gehört das riva-Produkt ins Feuilleton, auf die Politik-Seiten, in den Gesellschaftsteil? Sollten wir die Debatte auch in „Staat & Recht“ (Google, Amazon-Löschungen), „Wirtschaft“ (Umsatztreiber Trash) oder „Computer & Internet“ bearbeiten? Muss „Jenseits des Protokolls“ also rezensiert werden – auf einem Platz, den man lieber vergeben würde an Stephanie Gleißners Debüt „Einen solchen Himmel im Kopf“? – Ich bin unentschieden, und habe mir Bettina Wulffs Buch nun beim riva-Verlag bestellt. Bis es im Postkasten liegt, dürfte ich wenigstens die Kurzgeschichten von Dietmar Dath durchgelesen haben.

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3 Kommentare

  1. […] Eine Seuche: das sind Nonbook-Angebote, die auf den besten Tischen etlicher Buchhandlungen liegen. Einspruch? „Einkaufskörbe, Kaffee und Korkenzieher vom Buchhändler? Warum nicht! Funktionieren kann alles, was sich stimmig inszenieren lässt. Nonbooks sollen Bücher nicht ersetzen, sondern wir­ksam in Szene setzen und ihre Markenzeichen – Anspruch, Qualität, Origina­li­tät – unterstrei­chen.“ (Bild rechts: ein Steiff-Teddybär). Den größten Dreck findet man aber bei Amazon – wie diese Ebola-E-Books, die nicht nur den amerikanischen, sondern auch den deutschen Markt überschwemmen und aus großartig klingenden Verlagen kommen wie Niwlag, Mabuse, ATQ und: riva! […]

  2. Du solltest zu Dingen etwas sagen, zu denen dir etwas einfällt. Zu denen du einen Bezug hast. Das Kriterium ist nicht: Bestseller oder hohe Literatur. Schönstes Beispiel in letzter Zeit: Kathrin Passig zu „Fifty Shades of Grey.“
    So viele Leute äußern sich jetzt über Bettina Wullfs Buch. Muss, ja kann man zu allen Büchern eine Meinung haben? Ich meine, nein. Und das erwarte ich auch nicht von einem Literaturkritiker. Er/Sie kann auch mal sagen: „Dazu habe ich jetzt keine Meinung. Weiß nicht.“ Im Gegenteil: Die Auswahl der Themen gibt auch ein Profil.
    Man kann Bücher auch belanglos finden. Da lohnt sich gar keine eigene Meinung. An dir schätze ich die Infos über neue Literatur. (Hoffentlich ist das neue Buch von Wolf Haas gut! Heute gekauft.)
    Christl Klein

  3. Hast Du doch gut selbst beantwortet: Du bist Literatur_journalist.

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